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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Church weggelaufen. Und das mache ich jetzt jeden Sonntag.«
    Zum erstenmal, seit sie im Stag's Head wohnte, spürte Jettel, daß Kopf und Körper noch zu gleicher Zeit leicht werden konnten, aber noch immer fiel ihr das Sprechen schwer. Reginas Schweiß roch süß und steigerte Jettels Verlangen, nichts als den dampfenden Körper ihrer Tochter zu fühlen und ihr Herz schlagen zu hören. Sie öffnete den Mund zu einem Kuß, doch ihre Lippen zitterten.
    »Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren«, begann Regina und brach befangen ab. Sie konnte den einfachsten Ton nicht treffen und wußte es. »Owuors Lied«, sagte sie, »aber ich kann nicht so schön singen wie er. Ich bin nicht so klug wie Owuor. Weißt du noch, wie er in der Nacht zu uns kam? Mit Rummler. Und Papa hat geweint.«
    »Du bist klug und gut«, sagte Jettel.
    Regina gönnte sich nur die Zeit, die ihre Ohren brauchten, um die streichelnden Worte für immer zu behalten. Dann setzte sie sich zu ihrer Mutter aufs Bett, und beide schwiegen. Sie hielten sich aneinander fest und warteten geduldig darauf, daß aus dem Glück des Wiedersehens Freude wurde.
    Jettel hatte noch immer nicht den Mut zu den Worten, die in ihr waren, aber sie konnte schon zuhören. Sie ließ sich erzählen, mit welcher Beharrlichkeit und Sehnsucht Regina den Ausbruch geplant und wie sie sich von der Gruppe der übrigen Mädchen getrennt hatte und auf das Hotel zugelaufen war. Es war eine lange und verwirrend umständliche Geschichte, die  Regina mit der von Owuor erlernten Kunst der Wiederholungen immer wieder im gleichen Wortlaut vortrug und der Jettel trotz aller Bemühungen nicht folgen konnte. Sie merkte, daß ihr Schweigen Regina zu enttäuschen begann und war um so erschrockener, als sie sich fragen hörte: »Warum freust du dich so auf das Baby?«
    »Ich brauche es.«
    »Warum brauchst du ein Baby?«
    »Dann bin ich nicht allein, wenn du und Papa tot sind.«
    »Aber, Regina, wie kommst du auf so was? So alt sind wir doch nicht. Warum sollten wir sterben? Wer hat dir bloß so einen Unsinn eingeredet?«
    »Deine Mutter stirbt doch auch«, erwiderte Regina und zerbiß das Salz in ihrem Mund. »Und Papa hat mir gesagt, daß sein Vater auch stirbt. Und Tante Liesel. Aber er hat gesagt, ich darf dir das nicht sagen. I'm so sorry.«
    »Deine Großeltern und deine Tanten«, schluckte Jettel, »sind nicht mehr aus Deutschland herausgekommen. Das haben wir dir doch erklärt. Aber uns kann nichts passieren. Wir sind doch hier. Alle drei.«
    »Vier«, verbesserte Regina und schloß zufrieden die Augen, »bald sind wir vier.«
    »Ach, Regina, du weißt ja gar nicht, wie schwer es ist, ein Kind zu bekommen. Als du kamst, war alles anders. Ich werde nie vergessen, wie dein Vater durch die Wohnung getanzt ist. Jetzt ist alles so schrecklich.«
    »Ich weiß«, nickte Regina. »Ich war bei Warimu dabei. Wa-rimu ist fast gestorben. Das Baby kam mit den Füßen aus ihrem Bauch. Ich durfte mitziehen.«
    Jettel drückte mit hastigen Bewegungen den Ekel zurück in ihren Magen. »Und du hast keine Angst gehabt?« fragte sie.
    »Aber nein«, erinnerte sich Regina und überlegte, ob ihre Mutter einen Scherz gemacht habe. »Warimu hat ganz laut geschrien, und das hat ihr geholfen. Sie hat auch keine Angst gehabt. Nobody hatte Angst.«
    Das Bedürfnis, Regina wenigstens ein kleines Stück von jener Geborgenheit zurückzugeben, die sie ihr zu lange vorenthalten hatte, wurde für Jettel zu einer Qual, die schwerer auszuhalten war als die Erkenntnis ihrer Niederlage. Regina erschien ihr so wehrlos, wie sie selbst war.
    »Ich werde keine Angst haben«, sagte sie.
    »Versprich mir das.«
    »Ganz fest.«
    »Du mußt es noch einmal sagen. Alles mußt du noch einmal sagen«, drängte Regina.
    »Ich verspreche dir, daß ich keine Angst haben werde, wenn das Baby kommt. Ich habe nie gewußt, daß dir ein Baby so wichtig ist. Ich glaube nicht, daß sich andere Kinder so auf Geschwister freuen wie du. Weißt du«, erklärte Jettel und flüchtete zum nie versagenden Trost ihrer Erinnerungen, »ich habe mich immer so mit meiner Mutter unterhalten wie jetzt mit dir.«
    »Du warst auch nicht in der Boarding School.«
    Jettel versuchte, sich ihre Trauer nicht anmerken zu lassen, als sie in die Wirklichkeit zurückgeholt wurde. Sie stand auf und umarmte Regina. »Was ist«, fragte sie verlegen, »wenn die merken, daß du weggelaufen bist? Bekommst du keine Strafe?«
    »Doch, aber I don't care.«
    »Heißt das, es macht

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