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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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bei Weyl gekauft, wenn sie in Breslau war. Komm, Jettel, laß gut sein«, schlug Walter mit einer plötzlichen Entschlossenheit vor, die allen auffiel, und griff nach seinem Glas. Seine Hand zitterte.
    Er hatte Angst, Jettel anzuschauen. Er wußte nicht mehr, ob sie je vom Tod Siegfried Weyls erfahren hatte. Der alte Mann, der sich geweigert hatte, auch nur an Auswanderung zu denken, war drei Wochen nach seiner Verhaftung im Gefängnis gestorben. Walter ertappte sich bei dem Bemühen, sich das Gesicht zu der Tragödie vorzustellen, er sah jedoch nur die dunkle Holztäfelung vom Geschäft und die Monogramme, die Liesel dort immer in die Hotelwäsche hatte sticken lassen. Die weißen Buchstaben waren zunächst überdeutlich, doch dann verwandelten sie sich in rote Schlangen.
    Walter hatte seit seiner Ankunft in Kenia keinen Alkohol mehr getrunken. Er merkte, daß selbst die winzige Menge Wein ihn benommen machte, und massierte seine pochenden Schläfen. Seine Augen hatten Mühe, die Bilder zu halten, die sich ihm aufdrängten. Wenn die Holzbalken im Kamin krachend auseinanderbrachen, hörte er die Lieder aus der Studentenzeit und schaute immer wieder Oha an, um mit ihm den berauschenden Klang zu teilen. Der stopfte seine Pfeife und beobachtete mit grotesker Aufmerksamkeit die Laufbewegungen, die der kleine weiße Pudel im Schlaf machte.
    Jettel schwärmte immer noch von Bilschofskis feiner Tischwäsche. »Es gab überhaupt keine bessere Adresse in Breslau für Damast«, erzählte sie. »Die weiße Decke für zwölf Personen mit den passenden Servietten hat Mutter extra anfertigen lassen.«
    Auch Lilly war bei ihrer Aussteuer. »Wir haben sie in Wiesbaden gekauft. Erinnerst du dich an das schöne Geschäft in der Luisenstraße«, fragte sie ihren Mann.
    »Nein«, sagte Oha und sah in die Dunkelheit hinaus, »ich wäre noch nicht mal drauf gekommen, daß es in Wiesbaden eine Luisenstraße gegeben hat. Wenn ihr so weitermacht, können wir auch gleich >Du schöner deutscher Rhein< singen. Oder möchten sich die Damen vielleicht lieber in den Salon zurückziehen und diskutieren, was sie zur nächsten Theaterpremiere  anziehen.«
    »Genau richtig! Oha und ich können dann in Ruhe unsere wichtigsten juristischen Fälle rekapitulieren.«
    Oha nahm die Pfeife aus dem Mund. »Das ist ja«, sagte er mit einer Heftigkeit, die ihn selbst erschreckte, »noch schlimmer als Karpfen mit polnischer Soße. Ich kann mich an keinen einzigen meiner Prozesse erinnern. Dabei soll ich ein ganz guter Anwalt gewesen sein. Hat man gesagt. Aber das war in einem anderen Leben.«
    »Mein erster Fall«, erzählte Walter, »war Greschek gegen Krause. Es ging um fünfzig Mark, aber das war Greschek egal. Er war ein richtiger Prozeßhansel. Wenn der nicht gewesen wäre, hätte ich schon 1933 meine Praxis zumachen können. Kannst du dir vorstellen, daß Greschek mich bis Genua begleitet hat? Wir haben uns den Friedhof dort angeguckt. Es war genau das Richtige für mich.«
    »Hör auf! Bist du denn total verrückt? Noch keine Vierzig und lebst nur in der Vergangenheit. Carpe diem. Hast du das nicht in der Schule gelernt? Und nicht fürs Leben?«
    »Das war einmal. Hitler hat es nicht erlaubt.«
    »Du«, sagte Oha, und Teilnahme machte seine Stimme wieder sanft, »läßt es zu, daß er dich umbringt. Hier, mitten in Kenia, bringt er dich um. Bist du dafür davongekommen? Mensch, Walter, werd endlich heimisch in diesem Land! Du dankst ihm alles. Vergiß deine Tischwäsche, deine blöden Karpfen, die ganze verfluchte Juristerei und wer du warst. Vergiß endlich dein Deutschland. Nimm dir ein Beispiel an deiner Tochter.«
    »Sie hat auch nicht vergessen«, widersprach Walter und genoß jene Erwartung, die allein sein Gemüt zu beleben wußte.
    »Regina«, rief er gut gelaunt, »kannst du dich noch an Deutschland erinnern?«
    »Ja«, sagte Regina schnell. Sie nahm sich nur die Zeit, die sie tatsächlich brauchte, um ihre Fee zurück in das rote Likörglas zu geleiten. Die Aufmerksamkeit, mit der sie alle anschauten, machte sie jedoch unsicher, und gleichzeitig spürte sie den Druck, ihren Vater nicht zu enttäuschen.
    Regina stand auf und stellte ihr Glas auf den Tisch. Die Fee, die nur Englisch sprach, zupfte sie am Ohr. Das leise Klirren half ihr weiter. »Ich weiß noch, wie die Fenster kaputtgegangen sind«, sagte sie und freute sich am Staunen im Gesicht ihrer Eltern, »und wie sie alle Stoffe auf die Straße gewerft haben. Und wie die Leute gespuckt

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