Nirgendwo in Afrika
konnten.
Owuor hielt ein Tablett in einer Hand und streichelte mit der anderen gleichzeitig Rummler und den kleinen Pudel. Später brachte er den Kaffee in der großen Kanne, die er nur an guten Tagen füllen durfte, und servierte die winzigen Brötchen, für die ihn sein erster Bwana schon gelobt hatte, als er noch nicht Koch gewesen war und nichts von weißen Menschen gewußt hatte, die schönere Scherze als die eigenen Stammesbrüder aus dem Kopf holten.
»So kleine Brote«, rief Walter und schlug mit der Gabel gegen seinen Teller. »Wie machen so große Hände so kleine Brote? Owuor, du bist der beste Koch in Ol' Joro Orok. Und heute abend«, fuhr er fort und wechselte zu Owuors Enttäuschung die Sprache, »trinken wir eine Flasche Wein.«
»Und du läufst zum Kaufmann an der Ecke und holst sie«, lachte Lilly.
»Mein Vater hat mir zum Abschied zwei Flaschen mitgegeben. Die sollten für einen besonderen Anlaß sein. Wer weiß, ob wir je dazu kommen, die zweite aufzumachen. Die erste trinken wir heute, weil der liebe Gott uns Jettel gelassen hat. Manchmal hat er halt auch Zeit für bloody Refugees.«
Regina schob Rummlers Kopf von ihren Knien, lief zu ihrem Vater und drückte seine Hand so fest, daß sie die Spitzen seiner
Nägel fühlen konnte. Sie bewunderte ihn sehr, weil er zu gleicher Zeit Lachen aus seiner Kehle und Tränen aus seinen Augen lassen konnte, und sie wollte ihm das auch sagen, aber ihre Zunge war zu schnell, und sie fragte statt dessen: »Muß man bei Wein weinen?«
Sie tranken ihn aus farbigen Likörgläsern, die auf dem großen Tisch aus Zedernholz wie Blumen aussahen, die zum erstenmal nach dem Regen auf Bienen warten. Owuor bekam einen kleinen blauen Kelch, Regina einen roten. Zwischen den winzigen Schlucken, die sie in den Hals gleiten ließ, hielt sie das Glas gegen das zitternde Licht der Petromaxlampe und verwandelte es in den funkelnden Palast der Feenkönigin. Sie verschluckte ihre Traurigkeit bei dem Gedanken, daß sie niemandem davon erzählen konnte, doch sie war fast sicher, daß es in Deutschland keine Feen gab. Bestimmt wohnten keine in Sohrau, Leobschütz oder Breslau. Ihre Eltern hätten das sonst wenigstens in den Tagen erwähnt, als sie noch wirklich an Feen glaubte.
»Woran denkst du, Regina?«
»An eine Blume.«
»Eine richtige Weinkennerin«, lobte Oha.
Owuor steckte immer nur seine Zunge ins Glas, damit er den Wein zwar schmecken, aber auch behalten konnte. Er hatte noch nie Süße und Säure zu gleicher Zeit im Mund gehabt. Die Ameisen auf seiner Zunge wollten eine längere Geschichte aus dem neuen Zauber machen, doch Owuor wußte nicht, wie er sie anfangen sollte.
»Das sind«, fiel ihm schließlich ein, »die Tränen von Mungo, wenn er lacht.«
»An Assmannshausen denk ich gern zurück«, erinnerte sich Oha und drehte das Etikett der Flasche zum Licht. »Wir sind oft am Sonntag nachmittag dort gewesen.«
»Einmal zu oft«, sagte Lilly. Ihre Hand war eine winzige
Kugel. »Vielleicht erinnerst du dich, daß wir ausgerechnet von unserer gemütlichen Weinstube aus zum erstenmal die SA marschieren sahen. Ich höre sie heute noch grölen.«
»Hast recht«, erwiderte Oha versöhnlich, »man soll nicht zurückschauen. Manchmal überkommt es einen eben. Auch mich.«
Walter und Jettel stritten mit alter Lust und neuer Freude, ob die Gläser ein Verlobungsgeschenk von Tante Emmy oder Tante Cora waren. Sie konnten sich nicht einigen und danach auch wieder einmal nicht klären, ob es am letzten Abend in Leobschütz bei Guttfreunds Karpfen mit Meerrettich oder mit polnischer Soße gegeben hatte. Sie waren mit zuviel Eifer dabei und merkten zu spät, daß sie sich zu weit zurückgetraut und es dann schwer hatten, ihre Gedanken nicht auszusprechen. Die letzte Karte von Guttfreunds stammte vom Oktober 1938.
»Sie war doch so tüchtig und wußte immer einen Ausweg«, erinnerte sich Jettel.
»Auswege«, erwiderte Walter leise, »gibt es nicht mehr. Nur Wege ohne Umkehr.«
Die Sucht nach der Vergangenheit ließ sich aber nicht mehr stillen. »Wahrscheinlich weißt du auch nicht«, fragte Jettel triumphierend, »wo diese grüne Tischdecke herkommt? Da machst du mir nichts vor. Von Bilschofski.«
»Nein. Vom Wäschehaus Weyl.«
»Mutter hat immer nur bei Bilschofski gekauft. Und die Decke stammt aus meiner Aussteuer. Willst du das vielleicht auch bestreiten?«
»Quatsch. Die lag bei uns im Hotel. Auf dem Spieltisch, wenn er nicht benutzt wurde. Und Liesel hat immer
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