Nirgendwo in Afrika
wieder sechzehn und Liesel vierzehn Jahre alt; der Vater sah aus wie ein mittelalterlicher Ritter. Er kam zurück aus dem Krieg, zeigte seine Orden und wollte wissen, weshalb sein Sohn die Heimat im Stich gelassen hatte.
»I am a jolly good chap«, sagte Walter; er genierte sich, als
er merkte, daß er mit seinem Vater Englisch sprach.
Er kehrte nur langsam in die Gegenwart zurück und sah sich auf einer Farm die Stunden von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang zählen. Zorn verbrannte seine Haut.
»Ich hab' nicht überlebt, um Flachs zu pflanzen oder Kühen in den Arsch zu kriechen«, sagte er. Seine Stimme war ruhig und leise, doch der weiße Hund mit dem schwarzen Fleck über dem rechten Auge, der täglich zu den Baracken kam und dabei war, einen rostigen Eimer mit stinkendem Abfall zu durchwühlen, hörte ihn doch und schüttelte seine Ohren. Erst bellte er, um den unerwarteten Laut zu vertreiben, lauschte ihm einen Moment mit hocherhobener Schnauze nach, lief auf Walter zu und drückte sich gegen sein Knie.
»Du hast mich verstanden«, sagte Walter, »ich seh's dir an. Ein Hund vergißt ja auch nicht und findet immer nach Hause.«
Das Tier, überrascht von der ungewohnten Zärtlichkeit, leckte Walters Hand. Die dünnen Haare um die Schnauze wurden feucht, die Augen groß. Der Kopf machte eine kleine Bewegung nach oben und schob sich zwischen Walters Beine.
»Hast du was gemerkt? Mensch, ich hab' soeben Zuhause gesagt. Ich werd's dir erklären, mein Freund. Ganz genau. Heute ist nicht nur der Krieg zu Ende. Meine Heimat ist befreit worden. Ich kann wieder Heimat sagen. Brauchst nicht so dämlich zu gucken. Ich bin auch nicht gleich draufgekommen. Es ist aus mit den Mördern, aber Deutschland gibt es noch.«
Walters Stimme war nur noch Zittern, aber die Erkenntnis von kräftigender Belebung. Pedantisch versuchte er sich den Stimmungswandel zu erklären, aber er konnte seine Gedanken nicht ordnen. Zu groß war das Gefühl der Befreiung in ihm. Er spürte, daß es wichtig war, sich selbst noch einmal mit einer Wahrheit herauszufordern, die er so lange verdrängt hatte.
»Ich verrat's noch keinem außer dir«, sagte er dem schlafenden Hund, »aber ich gehe zurück. Ich kann nicht anders. Ich will nicht mehr ein Fremder unter Fremden sein. In meinem Alter muß ein Mann irgendwo hingehören. Und rat mal, wo ich hingehöre?«
Der Hund war aufgewacht und winselte wie ein junges Tier, das sich zum erstenmal ohne die Mutter in zu hohes Gras gewagt hat. Das helle Braun der Augen leuchtete in der Dämmerung.
»Komm mit, du son of a bitch. In der Küche kocht der Pole eine Krautsuppe. Weißt du, er hat auch Heimweh. Vielleicht hat er einen Knochen für dich. Du hast ihn verdient.«
In der Messe drehte Walter an allen Knöpfen des Radios, aber er fand nur Musik. Später trank er mit dem Polen, der noch schlechter Englisch konnte als er, eine halb gefüllte Whiskyflasche leer. Der Magen brannte wie der Kopf. Der Pole schöpfte die dampfende Krautsuppe in zwei Teller und brach in Tränen aus, als Walter »Dziekuje« sagte. Walter beschloß, dem Hund, der seit dem frühen Abend nicht von seiner Seite gewichen war, Text und Melodie von »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten« beizubringen.
Sie schliefen alle drei, der Pole und Walter auf einer Bank, der Hund darunter. Um zehn Uhr abends wachte Walter auf. Das Radio war noch an. Es war der deutschsprachige Sender der BBC. Auf die Zusammenfassung der Nachrichten von der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Deutschen Reichs folgte ein Sonderbericht von der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen.
16
Regina bettete den Hut, der in den frühsten Tagen von Angst und Heimweh dunkelblau gewesen war, sorgsam auf die Kofferablage über den Sitzen aus hellbraunem Samt und strich mit lange eingeübter Bewegung den rauhen Filz glatt. Als sie sich in die Polster fallen ließ, mußte sie Mund und Nase fest gegen die kleine Fensterscheibe drücken, um nicht laut zu kichern. Die Gewohnheit, zunächst für ihren Hut zu sorgen und erst danach für sich selbst, erschien ihr komisch im Angesicht der Veränderungen, die auf sie lauerten. Am Ende der Reise würde der seit Jahren zu enge, von der Sonne und der salzigen Luft des Sodasees ausgebleichte Hut nur noch eine Kopfbedeckung wie jede andere sein.
Das schmale blau-weiß gestreifte Hutband mit dem Wappen »Quisque pro omnibus« war fast neu. Die mit kräftigem Goldfaden gestickte Schrift leuchtete aufreizend in dem kleinen
Weitere Kostenlose Bücher