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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Sonnenfleck, der in das Zugabteil gedrungen war. Regina schien es, als würde sie das Wappen auslachen. Sie versuchte, sich an ihrer Vorfreude auf die Ferien zu wärmen, doch sie merkte schnell, daß die Gedanken ihr davonliefen, und wurde unsicher.
    Jahrelang hatte sie sich vergeblich das Hutband der Nakuru School gewünscht, um endlich nicht mehr Außenseiterin in einer Gemeinschaft zu sein, die Menschen an Uniformen und Kinder am Einkommen ihrer Eltern maß, und dann hatte sie das Band zu ihrem dreizehnten Geburtstag und fast zu spät bekommen. Sobald die Lokomotive in Nairobi einlief, würde Regina weder Hut noch Band mehr brauchen. Die Nakuru School, die das Gehalt ihres Vaters verschlungen hatte wie die gefräßigen Ungeheuer der griechischen Sagen ihre wehrlosen Opfer, war nur noch für wenige Stunden ihre Schule.
    Nach den Ferien mußte Regina in die Kenya Girls' High School in Nairobi, und sie wußte genau, daß sie die neue Schule ebenso hassen würde wie die alte. Die kleinen Quälereien, die sich am Abend jedes Tages zur großen Qual anhäuften, würden alle wieder von vorne anfangen - Lehrerinnen und  Mitschülerinnen, die ihren Namen nicht aussprechen konnten und dabei das Gesicht verzogen, als bereite ihnen jede kleine Silbe größten Schmerz; die vergeblichen Mühen, gut Hockey zu spielen oder sich zumindest die Regeln zu merken und so zu tun, als sei es entscheidend für eine Versagerin im Sport, in welchem Tor der Ball landete; die Peinlichkeit, im Unterricht zu den Besten zu gehören oder, noch schlimmer, wieder Klassenerste zu sein; am bedrückendsten aber Eltern zu haben und zu lieben mit einem Akzent, der einem Kind keine Chance gab, ein unauffälliger, anerkannter Teil der Schulgemeinschaft zu werden.
    Es war gut, grübelte Regina, während sie das zerkratzte Leder ihres Koffers fixierte, daß auch Inge in die Schule nach Nairobi gehen würde, die einzige Freundin, die sie in den fünf Jahren in Nakuru gefunden und gewollt hatte. Inge trug keine Dirndl mehr; sie behauptete, ohne rot zu werden, sie könnte nur eine Sprache und zwar Englisch sprechen, und es genierte sie sehr, daß sie einen deutschen Namen hatte. Den selbstgemachten Kochkäse aber, den die Mutter ihr für die Teestunde schickte, aß Inge noch immer lieber als die scharfen Ingwerkekse, für die die englischen Kinder schwärmten, und sie küßte immer noch ihre Eltern, wenn sie sie lange nicht gesehen hatte, statt mit einem leichten Winken anzudeuten, daß sie ihre Gefühle zu beherrschen gelernt hatte. Vor allem stellte Inge nie dumme Fragen, weshalb Regina außer Vater und Mutter keine Familie hatte und weshalb sie beim Abendgebet in der Aula die Augen nie zu und den Mund nicht aufmachte.
    Beim Gedanken an Inge seufzte Regina befreit in den braunen Vorhang des Zugfensters. Erschrocken schaute sie sich um, ob es jemand bemerkt hatte. Die übrigen Mädchen, die mit ihr in die Ferien nach Nairobi fuhren, waren jedoch mit ihrer Zukunft beschäftigt, ihre dünnen Stimmen erregt und ihre Erzählungen getränkt von jenem Selbstbewußtsein, das sie Eltern-haus und Muttersprache verdankten. Regina beneidete ihre Mitschülerinnen nicht mehr. Sie würde sie ohnehin nicht mehr wiedersehen. Pam und Jennifer waren auf einer Privatschule in Johannesburg angemeldet, Helen und Daphne sollten nach London, und auf Janet, die das Abschlußexamen der Nakuru School nicht bestanden hatte, wartete eine vermögende Tante mit einer Pferdezucht in Sussex. Regina gönnte sich, und diesmal mit Behagen, noch einen erleichterten Seufzer.
    Erst durch die blendende Helligkeit im Abteil merkte sie, daß der Zug bereits den Schatten des flachen Stationsgebäudes verlassen hatte. Sie war froh, daß sie am Fenster saß und ungestört noch einmal ihre alte Schule sehen konnte. Zwar kam sie sich vor wie ein erschöpfter Ochse, dem zu spät das Joch abgenommen wird, aber sie hatte trotzdem das Bedürfnis, einen langen Abschied zu nehmen. Nicht so wie in Ol' Joro Orok, als sie nichtsahnend die Farm verlassen hatte und ihre Augen die Zeit für alle Tage, die danach kamen, nicht mehr hatten nutzen können.
    Der Zug fuhr laut und langsam. Die einzelnen weißen Bauten der Schule, die Regina als Siebenjährige so geängstigt hatten, daß sie noch lange danach nur den einen Wunsch hatte, wie Alice im Wunderland in einem großen Loch zu versinken, wirkten in dem Dunst der beginnenden Tageshitze sehr hell auf dem rotsandigen Hügel. Die Häuschen mit den grauen Dächern aus

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