Nixenfluch
wie auch Ervys bereits erfahren hat«, entgegnet Saldowr trocken.
Karrek blickt in die Runde. Unterdrückter Zorn liegt in seiner Stimme, als er zu reden beginnt. »Die meisten haben wohl schon vergessen, mit welch großer Angst und Anspannung wir noch vor Kurzem auf die Rückkehr der Kinder gewartet haben«, sagt er. »Wir hatten sie in die Tiefe geschickt, weil wir keine Möglichkeit sahen, allein mit dem Kraken fertig zu werden. Und jetzt scheinen wir schon zu vergessen, dass sie etwas für uns getan haben, das seit der Zeit von Mab Avalon niemand mehr getan hat.« Ich zucke zusammen, als sich seine Stimme plötzlich in ungeahnte Höhen schraubt: » Sind die Mer wirklich so undankbar? Sind die Mer so vergesslich? Wir sollten uns daran erinnern, was heute getan wurde und die nächsten tausend Jahre Bestand haben wird. Unsere Kinder sind in Sicherheit. Die Herzen unserer Mütter und Väter werden nicht gebrochen werden. Alles andere ist unwichtig. Warum hört ihr Ervys überhaupt zu? Ervys war jedenfalls nicht in der Lage, eure Kinder zu retten.«
Ein zustimmendes Murmeln läuft durch die Menge: »Er hat recht. Ja, Karrek spricht für uns, Saldowr. Seine Worte sind unsere Worte.«
Faro strahlt vor Stolz. Ich fürchte, dass gleich wieder das Geklatsche losgeht, und Conor wäre es sicher am liebsten, wenn alle Mer auf der Stelle verschwänden. Ervys schaut sich alles aufmerksam an, taxiert die Stimmung, überlegt sich den nächsten Schritt. Obwohl Saldowr hier ist und wir unter seinem Schutz stehen, habe ich immer noch große Angst vor Ervys.
»Ihr meint, dass Karrek für euch spricht?«, sagt er schließlich mit glatter und kalter Stimme. »Nun gut, dann lasst ihn für euch sprechen. Lasst Saldowr für euch sprechen. Dann leben die Mer eben wie ein Schwarm von Sprotten, der sich vor jedem Schatten einer Makrele ängstigt. Ich dachte, die Mer wären dazu bereit, ihre Geschicke als ein freies Volk selbst in die Hand zu nehmen, aber da habe ich mich wohl geirrt. Für den Moment.« Er blickt Saldowr herausfordernd an, ehe er mit einem kraftvollen Flossenschlag kehrtmacht und durch die Reihen der Mer hindurchtaucht. Sie teilen sich, um ihm Platz machen, und ich glaube zu erkennen, dass einige ihm folgen, doch ganz sicher bin ich mir nicht.
Die Anspannung löst sich. Die Mer schließen sich zu kleinen Gruppen zusammen und gleiten leise redend davon. Jeder Einzelne von ihnen entbietet Saldowr seinen Abschiedsgruß. Einige rufen die Delfine, andere schwimmen allein durch die Wälder. Das Licht des Meeres lässt ihre Haare und ihre starken, geschmeidigen Schwanzflossen leuchten. Die Wälder von Aleph sind voller Leben und Bewegung. Doch schon im nächsten Moment sind die Mer verschwunden.
Achtzehntes Kapitel
S aldowr muss sich ausruhen. Faro begleitet ihn in seine Höhle. Wenig später erscheint eine Gestalt am schummrigen Eingang der Höhle. Zunächst glaube ich, es ist Faro, der zurückkommt, doch Conor erkennt sofort, um wen es sich handelt.
»Elvira!«
Sie gleitet auf uns zu, wiegt etwas in ihren Armen. Es ist ein Baby. Ein Mer-Baby, das sich zusammengerollt hat, sodass seine winzige Schwanzflosse auf Elviras Arm liegt.
Ich bin verwirrt. Elvira hat doch kein Baby … oder doch?
»Elvira!«, wiederholt Conor. Auf seinem Gesicht zeichnet sich ein irritierender Eifer ab. Sie lächelt ihn mit ebenso eifriger Wärme an, als sie uns entgegenschwimmt.
»Wessen Baby ist das?«, frage ich sie. Doch sobald ich die Frage gestellt habe, kenne ich schon die Antwort. Flaumige schwarze Haare, große Augen und ein Blick, der mir absolut vertraut ist, geben mir das Gefühl, als drücke jemand mein Herz mit aller Kraft zusammen.
Es ist das Baby, das ich letztes Jahr in Saldowrs Spiegel gesehen habe. Es lag in einer steinernen Wiege, und Mellina beugte sich über … über meinen Bruder.
»Mein Bruder«, sage ich laut und bin selbst überrascht, dass ich ihn anlächle. Nicht dass ich ihn mögen würde oder so was, aber Babys muss man einfach anlächeln.
Elvira ist direkt neben mir. Das Baby streckt sein dickes Patschhändchen nach mir aus, will mich begrüßen. Nur das Baby, Elvira und ich sind auf der Welt, alles andere hat sich in Luft aufgelöst.
»Wo ist seine Mutter?« Ich will Mellinas Namen nicht aussprechen. Das würde sie zu einer realen Person machen.
»Die sammelt Kelp, deshalb passe ich auf ihn auf.«
Hmm. Ich kann mir nicht vorstellen, dass unser Baby-Bruder hier zufällig aufgetaucht ist. Außerdem war
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