Nixenmagier
Nein, Saph, ich meine nicht, dass wir Dad besuchen könnten. Aber vielleicht könnten wir ihm helfen, Indigo zu verlassen.«
»Ihn retten?«
»Ja, wir müssen irgendwie herausbekommen, wie wir ihn befreien können. Wir wissen, dass Menschen in der Lage sind, sich in Mer zu verwandeln und in Indigo zu leben. Das geschah mit dem ersten Mathew Trewhella und jetzt ist es mit Dad geschehen. Aber es könnte auch anderen Leuten passieren. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass diese Verwandlung nur in eine Richtung möglich ist. Hat denn jemals ein Mer versucht, an Land zu leben, vielleicht aus reiner Neugier?«
»Dazu gibt es eine Geschichte. Ich glaube, es war eine Meerfrau, die an Land kam und ihren Fischschwanz an den Felsen in Stücke schlug.«
»Das ist doch nur ein Märchen. Warum sollte nicht wirklich jemand in der Lage sein, Indigo zu verlassen, auch wenn das bedeutet, dass sich sein Körper verändern müsste? Wir wissen, dass Faro und Elvira eine Zeit lang an der Luft sein können. Es wäre doch möglich, dass ein anderer Mer noch länger dazu in der Lage wäre, vielleicht sogar für immer. Wir müssen unbedingt herausfinden, ob diese Möglichkeit besteht. Dad kann noch nicht vollständig zum Mer geworden sein. Zum Teil ist er immer noch ein Mensch. Und erst wenn wir herausgefunden haben, wie die Verwandlung vor sich geht, wird Dad wirklich eine Wahl haben.«
Conors Worte versetzen mich in helle Aufregung. Wenn es stimmt, dass Dad uns gar nicht für immer verlassen wollte, dann wäre es möglich, alles wieder umzukehren. Doch bin ich nicht ganz so optimistisch wie Conor. Vielleicht weil ich selbst spüre, wie mächtig die Anziehungskraft von Indigo ist. Wenn ich die Wahl hätte, den Rest meines Lebens in St. Pirans zu verbringen – mit all seinen Häusern und Straßen, dem Verkehr und den Menschenmassen – oder stattdessen in Indigo zu leben, dann wüsste ich nicht, wie ich mich entscheiden sollte. Aber wenn Dad nach Hause käme, würden wir wieder in unser altes Haus zurückziehen. Das Haus, die Bucht, unser freies Leben, alles wäre wieder so wie früher.
Obwohl dies eine wundervolle Vorstellung ist, hege ich gewisse Zweifel. Gloria Fortune müsste ausziehen und Mum wieder so werden, wie sie früher war – als sie Dad geliebt und Roger noch nicht getroffen hatte. Roger müsste verschwinden, und ich habe das dumpfe Gefühl, dass er nicht kampflos das Feld räumen würde.
Aber daran will ich jetzt keinen Gedanken verschwenden.
Erst mal müssen wir uns ganz darauf konzentrieren, Dad zu befreien.
Bis drei Uhr morgens schmieden wir Pläne. Conor ist überzeugt davon, dass wir so bald wie möglich nach Indigo schwimmen müssen. Er besteht darauf, dass wir es gemeinsam tun, auch wenn ich darauf hinweise, dass er dann ausschließlich von mir abhängig sein würde. Conor kann nicht genug Sauerstoff aufnehmen, um unter Wasser allein existieren zu können. Ich glaube, es ist zu viel Erde und Luft in ihm, aber das behalte ich für mich.
»Seit wir in Indigo waren, ist doch so viel Zeit vergangen«, sagt er. »Wir sind beide viel größer und kräftiger geworden. Vielleicht komme ich jetzt gut allein zurecht.«
Doch ich vermute eher, dass Conor sich weiter von Indigo entfernt hat, seit wir aus Senara weggezogen sind. Mein Mer-Blut ist mit Sicherheit stärker geworden, aber ich wage nicht, mich darauf zu verlassen, dass es uns beide am Leben halten wird. Was ist, wenn wir uns tief in Indigo befinden, hundert Meter unter der Wasseroberfläche, und meine Kräfte so sehr schwinden, dass sie nur noch für mich alleine ausreichen?
Ich habe schon einmal erlebt, wie das Leben und alle Farbe aus Conors Gesicht gewichen sind. Und damals waren wir sogar in relativ seichtem Wasser. Wir hatten doppeltes Glück, weil Faro in der Nähe war, um uns zu retten, doch nächstes Mal wird das vielleicht nicht der Fall sein, es sei denn …
»Faro sollte uns begleiten, Conor.«
»Den will ich nicht dabeihaben. Das ist eine Familienangelegenheit. «
»Aber wie sollen wir das alleine denn schaffen? Wir wissen doch nicht einmal, wo wir Dad suchen sollen. Indigo ist riesengroß. Wir könnten jahrelang suchen, ohne ihn zu finden. Wir haben schließlich keine Karte, wo alles eingezeichnet ist. Aber – wenn du Faro nicht dabeihaben willst, dann … dann könnte uns vielleicht Elvira helfen.«
Ich werfe Conor einen verstohlenen Blick zu, um zu sehen, wie er auf Elviras Namen reagiert. Ich glaube, er ist ein wenig errötet.
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