Nixenmagier
Indigo kommen, um nach unserem Vater zu suchen. Würde das etwas ändern? Ich weiß es nicht. Doch falls Conor recht hat und Dad gegen seinen Willen in Indigo festgehalten wird, dann sollten wir unser Vorhaben geheim halten. Falls Conor recht hat …
Der Meeresboden fällt hier steil ab. Sobald wir ein paar Schritte ins Wasser hineingewatet sind, werden wir nicht mehr stehen können. Indigo ist schon in Reichweite.
»Los, Saph, fang an!«
Conor meint, dass ich anfangen soll, Faro zu rufen. Er ist sicher, dass Faro meinem Ruf folgen wird. Ich lasse meinen Blick über die Wasseroberfläche schweifen, halte Augen und Ohren offen. Keine Ahnung, was geschehen wird. Wird sich Indigo für uns öffnen, oder werden wir enttäuscht und frierend, mit unnötig durchnässten Kleidern, wieder nach Hause gehen müssen?
Plötzlich läuft ein Schauer der Erregung durch mich hindurch. Faro ist nah. Ich weiß es. Der Teil von mir, der in Indigo zu Hause ist, erwacht zum Leben. Sinne, von denen ich im Alltag nichts spüre, beginnen sich zu regen – irgendwo unter der Wasseroberfläche, irgendwo unter der Oberfläche meines Bewusstseins. Faro lässt mich seine Gegenwart spüren. Ein sanftes Klopfen an der Tür meiner Wahrnehmung. Ein Gruß.
Hier bin ich, kleine Schwester. Komm und such mich!
Meine Augen suchen die Felsen und das Wasser ab. Nichts. Kein glatter, dunkler Kopf, der den Wasserspiegel durchbricht. Ich fahre herum und bin mir fast sicher, dass Faro irgendwo auf den Felsen hockt und mit seinem vertrauten spöttischen Lächeln zu uns herüberblickt. Ich sehe ihn nicht und doch ist er da, ganz gewiss. Ich packe Conor am Arm. »Faro ist in der Nähe, ich spüre es.«
Doch Conor wirft einen beunruhigten Blick zu den Felsen, die über uns liegen. »Beeil dich, Saph, da oben auf dem Weg ist ein Mann mit Angelausrüstung. Er geht in unsere Richtung.«
Daran haben wir gar nicht gedacht. Dies ist ein beliebter Platz zum Makrelenangeln, und wenn sich der Mann erst einmal niedergelassen hat, wird er vermutlich den ganzen Vormittag bleiben.
»Schnell, bevor er uns sieht.«
»Wo sollen wir unsere Sachen lassen?«
Conor hat an alles gedacht. Wir haben Ersatzkleider in einer Plastiktüte, die wir anziehen wollen, wenn wir klatschnass wieder an Land kommen. Die Plastiktüte und unsere Turnschuhe hat er in eine Felsspalte oberhalb der Gezeitenlinie geklemmt.
»Komm schon, Conor, Faro wartet auf uns.«
Wir lassen uns an den Felsen hinunter, die an dieser Stelle steil und schroff sind. Sobald wir mit beiden Füßen im Wasser stehen, weiß ich, dass alles in Ordnung ist. Es fühlt sich gar nicht so kalt an, wie im November zu erwarten wäre. Das Wasser umschließt meine Beine und durchnässt meine Jeans. Ich wate vorsichtig weiter, damit der Angler es nicht platschen hört. Wir sind seinem Blick immer noch verborgen,
doch gleich werden uns die Felsen keinen Sichtschutz mehr geben. Wir werden schnell untertauchen müssen.
Wir schauen einander an. Conor muss mir jetzt vollkommen vertrauen. Sein Mund ist zusammengekniffen. Er ist bereit zu tauchen, obwohl er nicht völlig sicher sein kann, dass ich stark genug bin, um ihn in Indigo am Leben zu erhalten. Ich werde nie erfahren, wie viel Mut dies erfordert, weil Conor es mir nie erzählen würde.
»Jetzt komm, Saph, sonst sieht er uns noch!«, drängt Conor, als sei der Angler seine einzige Sorge.
»Halt dich gut an meinem Handgelenk fest.« Er nickt. »Und nicht atmen, was auch passiert. Drück meinen Arm, wenn du nicht genug Sauerstoff kriegst. Dann bring ich dich an die Oberfläche.«
Ich gehe einen Schritt tiefer hinein und er tut dasselbe. Das Wasser schließt sich uns erst um die Hüfte, dann um die Brust und hebt schließlich unsere Füße vom Boden. Wir werfen uns einen letzten Blick zu, beugen uns dann nach vorne und tauchen ins Wasser ein.
Wir durchstoßen die Haut. Ich öffne meine Augen. Blasen ziehen an mir vorbei. Die Reste meines Atems steigen an die Oberfläche. Meine Lungen sind nun völlig leer. Doch das sauerstoffreiche Wasser von Indigo erfüllt mich mit Leben und Energie. Conor schwimmt neben mir, seine Finger um mein Handgelenk, die Augen geschlossen.
Im nächsten Moment ist Faro da, so wie ich gehofft und geglaubt hatte. Er schwimmt an Conors Seite und hält sein anderes Handgelenk fest. Er lächelt sein unergründliches Lächeln, als würde er uns etwas verheimlichen. »Wurde auch Zeit«, sagt er. »Hab mich schon gefragt, wie lange ich noch auf euch warten
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