Nixenmagier
und mit Hausmüll vermischt, doch der Weg zwischen Indigo und unserem Aufenthaltsort ist frei …
Der Weg zwischen mir und den Mer. Ich könnte meinen Vater rufen. Er würde kommen. Mit Sicherheit. Väter kommen immer zu ihren Kindern, wenn diese in Gefahr sind.
Doch was würde Mum dazu sagen? Wie würde sie reagieren, wenn sie erführe, was seit seinem Verschwinden alles geschehen ist?
Es gibt noch eine andere Angst, so tief in mir, dass ich kaum Worte dafür finde. Es klingt so … so … als würde ich ihn verraten. Doch meine allergrößte Angst ist, dass Dad nicht kommt, obwohl ich ihn rufe …
Nein, das will ich mir nicht vorstellen.
Aber ich könnte Faro rufen. Faro ist mutig und für ein Abenteuer immer zu haben. Er würde kommen. Seine Kraft ist viel größer als meine. Faro würde vielleicht auch die Schranktür aufbekommen.
Wenn er immer noch tief in Indigo ist – bei Saldowr, in den Wäldern von Aleph –, hat er von der Flutwelle vielleicht
gar nichts mitbekommen. Ob Saldowr ihn inzwischen geheilt hat?
Meine Gedanken sind so wild und ungestüm wie die Flutwelle. Rainbow darf Faro nicht sehen. Niemand darf die Mer zu Gesicht bekommen: Das ist gefährlich für sie. Aber ich muss Faro rufen. Er ist jetzt unsere einzige Hoffnung.
»Schnell, Sapphire, wir müssen wieder nach oben!«, drängt Rainbow. »Wir kriegen den Schrank ja doch nicht auf.«
Mir fällt die richtige Antwort ein. »Geh du schon rauf, Mum sollte in ihrem Zustand nicht länger alleine sein. Ich werd’s noch einmal versuchen.«
»Sei nicht verrückt. Ich werde dich nicht allein lassen.«
»Rainbow, bitte! Hörst du? Mum ruft. Sie ist krank und braucht Hilfe. Und ich kann wirklich lange die Luft anhalten. Ich mache noch einen allerletzten Versuch.«
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, höre ich plötzlich Mums Stimme: »Sapphy, komm schnell !«
Im Schein der Kerze starren wir uns an.
»Geh schon rauf!«, sage ich rasch, »und lass die Kerze oben am Treppenabsatz stehen. Einen Versuch ist es noch wert. Ich rufe, wenn ich die Tür aufkriege. Dann kommst du runter und hilfst mir mit der Leiter.«
Das Wasser leckt an meinen Füßen, obwohl ich auf halber Höhe der Treppe stehe. Ich sehe Rainbow an, wie sie mit sich ringt. Ihr Gesicht zeugt von Angst und Verantwortungsgefühl und der Qual, nicht zu wissen, was sie tun soll.
»Sapphy!«
Zögernd geht Rainbow die Stufen hinauf, Mum entgegen. »Ich schau schnell nach ihr, und dann komm ich zurück. «
Faro, wo bist du?
Wie soll ich ihn am besten rufen? Plötzlich weiß ich es. Im Gewirr der überschwemmten Straßen und Häuser wird er Schwierigkeiten haben, mich zu finden. Er ist ja auch noch nie in einer Stadt gewesen. Ich muss ihm den Weg zeigen.
Ich öffne mein Bewusstsein und stelle mir ein Bild vor. Diesen Raum, gefüllt mit Wasser. Die Stufen und die offene Haustür. Dann gehe ich in Gedanken die Straße entlang, wie mit einer Kamera, um ihm zu zeigen, welche Route er nehmen muss. Die enge Straße, die einen scharfen Knick macht und dann hinunter zu den Stufen und zum Strand führt. Doch es gibt keinen Strand mehr. Schau nach unten, Faro. Orientier dich an der Fahrbahn und den Häusern. Siehst du den Weg?
Aber komm schnell! Wir haben nicht mehr viel Zeit.
Ich spüre, dass die Zeit in Bewegung geraten ist. Doch handelt es sich um Menschenzeit oder Indigozeit? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist sie nicht mehr konstant, sondern will so frei sein wie ein Wasserstrudel. Die Sekunden dehnen sich aus, werden zu Minuten, Stunden …
Und da ist er plötzlich, taucht voller Anmut durch das trübe Wasser, wo früher die Tür war. Ich weiß, dass es Faro ist, bevor ich sein Gesicht sehe. Wer sonst hätte meine Gedanken lesen und mich finden können, um mich zu retten?
»Hallo, kleine Schwester«, sagt Faro, streicht sich die Haare zurück und lächelt mich an, als säßen wir auf einem Felsen in der Sonne.
»Faro!«
»Ich hab überall nach dir gesucht. Viele Menschen habe
ich gesehen, aber niemand, der so aussah wie du. Ich bin in all diesen Höhlen herumgeschwommen, in denen ihr Menschen lebt, und …«
»Die heißen Häuser, das weißt du ganz genau.«
Doch Faro ignoriert meine Zurechtweisung. »Du hättest mir ruhig etwas früher eine Nachricht schicken können. «
»Du warst also schon die ganze Zeit in St. Pirans!«
»Natürlich. Ich wollte doch das große Ereignis nicht verpassen, kleine Schwester. Indigo hat seine Grenzen gesprengt. « Er sieht mich mit funkelnden,
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