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hatte blaue Augen, glattgekämmte Haare, einen langen Riecher. Und leicht gebückt hielt er sich auch, mein wacher Schläfer, der gefeuerte Portier vom Diderot-Hôtel, den ich die ganze Zeit suchte. Bernard Lebailly! Sobald er zur Tür raus war, trank ich aus und stand auf.
„Entschuldigen Sie mich bei Boubal“, sagte ich zu Pascal. „Aber ich hatte vergessen, es ist ja Samstag. Hab noch was Dringendes vor.“
Damit verließ ich das Flore.
Der Lebenskünstler ging in Richtung Rue des Saints-Peres, langsam, friedlich, leicht schwankend. Ich folgte ihm.
Er überquerte den Boulevard und bog in die Rue du Dragon ein. Vor den Cahiers d’Art blieb er stehen, schüttelte den Kopf angesichts eines Bildes von Yves Tanguy. Offensichtlich hatte er keinen blassen Schimmer von dieser Art Malerei. Dann ging er weiter. Carrefour de la Croix Rouge, Rue du Vieux-Colombier. Ganz gemütlich schlenderte er dahin, wie ein kleiner Angeber. So kam er schließlich auf die Place Saint-Sulpice. Zwischendurch kaufte er sich an der Ecke Rue Bonaparte ein Päckchen Zigaretten, steckte sich eine in den Mund, blieb stehen, um sie anzuzünden, in aller Ruhe. Dann blieb er noch ‘ne halbe Minute vor der Kirche stehen, betrachtete sie, stieß den Rauch durch die Nase aus. Vielleicht rezitierte er für sich das Gedicht von Raoul Ponchon:
Je hais les tours de Saint-Sulpice
Quand je les rencontre
je pisse
contre
Schließlich ging er weiter. Rue Saint-Sulpice. Ein interessierter Blick in die Schaufenster einer Devotionalienhandlung, dann links in die Rue Mabillon und sofort rechts in die Rue Lobineau. Er hatte keine Eile, schlenderte, ließ sich Zeit. Nur nicht schwitzen! Immer schön im Schatten! Kurz, er ließ sich treiben, wie er zu Pascal gesagt hatte. Kümmerte sich einen Dreck darum, ob jemand ihm folgte. Nicht ein einziges Mal drehte er sich um. Ruhig, friedlich und sorglos, schweigend wie Baptiste. Eine Buchhandlung zog seine Aufmerksamkeit an. Aber nicht lange. Malerei und Literatur waren nicht seine Sache. Als ich in seinem Kielwasser an dem Schaufenster vorüberging, sah ich, neben anderen Büchern, unter einem Bild des Meisters den Bestseller von Germain Saint-Germain. Im Augenblick interessierte ich mich allerdings mehr für Bernard Lebailly. Er überquerte die Rue de Seine und kam so in die Rue des Quatre Vents. Hier verschwand er in dem schmalen Eingang eines alten abbruchreifen Hauses. Wenn man dem Schild über dem Eingang glauben konnte, befand sich im Hof eine Kunsttischlerei.
Der gute Mann hatte einen verdammt großen Umweg gemacht. Einen eventuellen Verfolger wollte er offensichtlich nicht abschütteln. Also folgerte ich, daß er keinen gesteigerten Wert darauf legte, in die Nähe des Diderot-Hôtel zu kommen. Vielleicht wollte er aber auch ganz einfach nur Spazierengehen.
Ich folgte ihm in die Bruchbude. In dem dunklen Flur war es feucht und kühl. Es roch gut nach Sägemehl. Die Treppenstufen ächzten unter dem Gewicht des Mannes, der langsam hinaufging. Ich hörte, wie er mit den Schlüsseln hantierte. Das Schloß verursachte einen Heidenspektakel. Es hatte mächtigen Öldurst. Ich ging jetzt ebenfalls nach oben, beugte mich nach innen über das Geländer und sah hinauf. Schwaches Tageslicht fiel aus irgendeiner Öffnung, Marke Schießscharte, oder aus einem Oberlicht.
„He, ist jemand oben?“ rief ich im Weitergehen.
„Was ist los?“ fragte der Jemand nach kurzem Zögern.
„Ich such einen
„Bin keine Concierge.“
Noch bevor der unfreundliche Kerl die Tür zu seiner Wohnung schließen konnte, war ich bei ihm und stellte meinen Fuß in den Spalt.
„Sie können mir bestimmt besser helfen als die Concierge“, sagte ich lächelnd. „Hier gibt’s anscheinend sowieso keine, hab ich das Gefühl. Ich suche einen Bernard Lebailly.“
Er musterte mich feindselig durch den Türspalt.
„Hm. Und?“
„Und? Nichts und
Im Stockwerk über uns schnauzte eine Mutter ihr Gör an. Das Kind war ganz die Mutter und schnauzte noch lauter zurück. Daraufhin fing ein Radio an zu plärren. Wollte wohl das letzte Wort haben.
„...Nichts“, wiederholte ich. „Sie sind doch Lebailly, stimmt’s?“
„Und?“
„Oh! Leg ‘ne andere Platte auf, Alter, so kommen wir nicht weiter. Laß mich rein. War für uns alle besser. Bei diesem Krach hier im Flur kann man nicht in Ruhe reden.“
„Hm. Na gut... kommen Sie rein.“ Er gab die Tür frei. „Drei Minuten, mein Lieber. Mehr nicht. Weiß der Teufel, warum ich Sie
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