nmp06
tröstet: ich versteh genausowenig wie Sie.“
Mit meiner Fußspitze stieß ich Roland Gilles leicht in die Rippen.
„Ich freue mich sehr, die Bekanntschaft dieses Herrn zu machen. Aber für Ihren Seelenfrieden, Monsieur Grandier, wär’s besser gewesen, er hätte ins Gras gebissen. Da haben Sie nicht richtig geschaltet, wenn ich Ihnen das mal sagen darf. Es wäre alles viel einfacher für Sie gewesen! Anstatt ihm eins überzuziehen, hätten Sie ihm nur eine Kugel in den Kopf jagen müssen. Ein Einbrecher... ein Penner... Notwehr... Begreifen Sie? Wär leicht zu verdauen gewesen. Jedenfalls hätte er Ihnen nicht widersprechen können... Nur eine Leiche mehr in dieser Angelegenheit.“
Grandier riß die Augen weit auf.
„Ist das Ihr Ernst, Burma?“
„Mein voller Ernst.“
Mit einem boshaften Lächeln faßte er an seine Jackentasche, in der sein Revolver steckte.
„Vielleicht ist es ja noch früh genug, um meinen Fehler wiedergutzumachen“, grinste er.
„Jetzt frag ich Sie: Ist das Ihr Ernst?“
Er antwortete nicht. Sein Arm baumelte ins Leere. Hastig fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Plötzlich brach es aus ihm hervor:
„Durchwühlen Sie ihn! Wecken Sie ihn auf! Verhören Sie ihn! Aber dann haun Sie ab, beide! Ich will von der ganzen Geschichte nichts mehr hören. Für mich, hören Sie ?, ist der Fall er-le-digt!“
Wortlos beugte ich mich über Roland Gilles und untersuchte seine Taschen. Die Beute war nicht sensationell. Zwei Briefchen Streichhölzer, Zigaretten, eine Brieftasche mit ‘ner Menge Geld und einem Ausweis auf den Namen Roland Gilles. Vielleicht gefälscht, aber na ja... Ein Röhrchen Aufputschtabletten. Ein Passepartout, Spezialausführung. Paßte wirklich überall. Keine Waffe. Und nichts, was mir verraten hätte, wo er sich seit seiner überstürzten Abreise aus dem Diderot-Hôtel rumgetrieben hatte. Aber vielleicht konnten mir die Streichhölzer weiterhelfen. Es handelte sich um diese Reklamegeschenke von Restaurants, die sie mit Genehmigung der S.E.I.T.A. an ihre treue Kundschaft verteilen. Club de la Botte-Rouge, Rue de Nevers , stand auf diesem hier. Der Stiefel von Nevers. Der Name des Wirts stand nicht dabei. Wahrscheinlich, weil er nicht Lagardére hieß.
Das war schon fast alles, was Roland Gilles bei sich hatte. Noch zwei Taschentücher und Zeitungen: eine Seite aus dem Crépuscule vom Vorabend und die letzten Ausgaben von Samedi-Soir und France-Dimanche, die allerdings vollständig. Ich warf nur einen flüchtigen Blick auf die Schlagzeilen. Auch das fand Grandier schon überflüssig. Die Wochenzeitungen berichteten ausführlichst von dem Schmuck der Marquise. Zwei Seiten lang, viel Text, dazu ein Foto der Marquise. Reizend, sehr gut erhalten. Wenn Roland Gilles alles sammeln wollte, was über den berühmten Schmuck geschrieben wurde, konnte er gleich einen Schuppen mieten. Ich überflog noch die anderen Artikel. Unter anderen amüsanten Geschichtchen fand ich die Information über die endgültige Wahl der Miß Müll im Cave-Bleue. Catherine Capron, eine Blondine, hatte es geschafft. Mehrere Fotos der strahlenden Siegerin zierten die Artikel über dieses typisch Pariser Ereignis. Fotos von vorn, von hinten, von der Seite, von unten und von oben. Die 32 Stellungen des Fotoreporters. Ziemlich offenherzig, das Foto aus der Vogelperspektive. Diese Taxi — denn sie verbarg sich hinter dem Namen — besaß wirklich zwei entzückende kleine Tachometerchen. Alles ziemlich uninteressant. Ich meine in bezug auf Roland Gilles. Taxis Busen war zwar sehr aufregend, und ihr Haar glänzte wie Gold, aber im Moment war ich hinter anderen Dingen her. Da machte mich die Seite aus dem Crépuscule schon glücklicher. Dort war eine kurze Notiz mit dem Fingernagel gekennzeichnet. Es ging da um einen gewissen Salibrani, ein ehemals stinkreicher Gangster, der inzwischen auf den Hund gekommen war. Man hatte ihn in Nizza verhaftet. So richtig glücklich konnte ich damit aber auch nicht werden. Kein leuchtender Silberstreif am Horizont.
Ich steckte den ganzen Krempel wieder dahin, wo er hingehörte, und begann mit den Wiederbelebungsversuchen. Lazarus öffnete die Augen und sah mich an, als hätte er mich noch nie gesehen. Was übrigens stimmte. Ich ging gleich zum Angriff über:
„Na, Kleiner? Wolltest du Monsieur ‘n bißchen erpressen? Schämst du dich denn gar nicht? Bei so einem schönen Wetter! Willst du, daß der Liebe Gott uns Regen schickt?“
„Verdammte Scheiße!“
Weitere Kostenlose Bücher