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wirkte. Er hielt sie. Der Diener nicht.
„Vielleicht sollte man die Polizei rufen?“ fragte er gespreizt.
„Lassen Sie die Flics aus dem Spiel“, herrschte ich ihn an. „Verarzten Sie lieber Ihren Chef. Und schließen Sie die Fenster. Das ist das beste , was Sie im Moment tun können.“
Er trat ab. Sein Blick war träger und trüber denn je. Ich zog die Vorhänge zu und näherte mich Martin Burnet. Der starrte immer noch auf den wimmernden Schriftsteller, wobei er sich unaufhörlich mit seiner belegten Zunge zufrieden über die Lippen leckte.
„Gefällt mir gar nicht, dich hier zu sehen, Tintin“, sagte ich. „Du paßt nämlich nicht in mein Puzzle. Oder ich hab irgendwo ‘n Fehler gemacht. Ich wollte unserem großen Meister gerade eine kleine Geschichte erzählen, in der du bis auf weiteres nicht vorkommst.“
„Eine Geschichte?“ lachte mein Freund. „Aus der er dann vielleicht noch ein Buch macht?“
„Warum nicht.“
„Dann bist du ihm ja herzlich willkommen. Er selbst hat nämlich keine Ideen. Total erledigt!“ rief er mit triumphierender Stimme und sah den Schriftsteller feindselig an.
Saint-Germain stieß ein dumpfes Gegrunze aus, so als hätte man ihn soeben wieder verletzt. Schmerzhaft verzog er das Gesicht, sagte aber nichts. Verkroch sich immer mehr in seine Ecke. Der Diener kam mit der Hausapotheke wieder. Ich ging hin und half ihm bei der Ersten Hilfe. Dem Hausherrn die Pyjamajacke auszuziehen, ging nicht ohne Stöhnen und Jammern ab. Nie so eine Zimperliese gesehen. Ihm auf die Beine und in einen Sessel zu helfen, war eine Mordsarbeit. Man konnte meinen, er wäre dem Tod von der Schippe gesprungen. Dabei hatte die Kugel kaum seine Haut geritzt. Die Wunde war ungefährlich. Ein Kratzer, mehr nicht.
„Sie sind noch mal davongekommen“, stellte ich fest.
„Sie werden mich umbringen“, winselte er.
Er krallte seine Finger verzweifelt in meinen Arm.
„Sie werden mich umbringen“, wiederholte er. „Ich fühl es. Sie werden mich umbringen.“
Ich machte mich los, ließ ihn jammern und wandte mich wieder Tintin zu.
„Erledigt, hast du gesagt?“
„Völlig kaputt“, frohlockte Martin. „Weißt du, wie er sich inspirieren läßt?“
„Er besäuft sich.“
„Nein! Er läßt die andern saufen. Alkohol. Worte. Läßt sie dann Scheiße bauen und versucht, das aufs Papier zu bringen. Ein Weltenschöpfer, einer, der die Fäden zieht... und manchmal auch die Würmer aus der Nase. Bei mir hat er’s zum Beispiel versucht. Hier...“
Er nahm vom Tisch einen grünen Aktendeckel, auf dem in großen Buschstaben zu lesen war: Der Keller des ersten Kummers. Tintin schlug den Aktendeckel auf. Gähnende Leere.
„Über den Titel ist er noch nicht hinausgekommen“, lachte er. „Weil ich ihm nicht mein Herz ausgeschüttet habe. Nicht daß er mit Tricks gespart hätte... Aber es hat nicht ganz geklappt. Weißt du, was Der Keller des ersten Kummers ist, Nestor? Das ist... oder vielmehr hätte sein sollen... die Geschichte einer Karriere und eines Scheiterns, eine Parallelgeschichte. Unsere Geschichte, Suzys und meine. Ich weiß...“
Er strich sich mit der Hand übers Gesicht. Seine Stimme versagte.
„...ich weiß, meine Verhalten ist saublöd. Aber das ist einzig und allein meine Sache. Meine Intimsphäre... Davon werd ich mich nie erholen. Ich krepier dran...“
Er ließ den Aktendeckel auf den Teppich fallen und beförderte ihn mit einem wütenden Fußtritt unter einen Schrank. Der Keller des ersten Kummers, ein hübscher Titel für einen ungeschriebenen Bestseller. Ein farbiger Umschlag für enttäuschte Hoffnun- gen ’
„Je höher sie steigt“, sagte ich achselzuckend, „desto tiefer sinkst du. Dagegen ist wahrscheinlich nichts zu machen. Du hast beschlossen, dich kaputtzumachen, also tu’s! Aber, Herrgott nochmal! Du mit deiner Intimsphäre. Solltest auch zu schreiben anfangen. Hier in der Gegend schreiben ja alle mehr oder weniger. Sogar die Hotelportiers!“
„Ja“, flüsterteTintin. „Je höher sie steigt, desto tiefer sinke ich. Nur, das ist keine Literatur. Das ist tatsächlich so...“
Wieder bekam sein Gesicht diesen träumerischen Ausdruck. Diesen unangenehmen Ausdruck eines Idealisten, der zum Bombenwerfer werden kann.
„Meine unglückliche Liebe geht mir nicht aus dem Sinn. Das versaut mir mein ganzes Leben.“
„ Das versaut dir dein ganzes Leben, weil du dich da hineinsteigerst, verdammt nochmal!“ schimpfte ich. „Heute stand in der Zeitung,
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