nmp06
daß deine Suzy noch eine Sprosse höher geklettert ist. Deshalb wolltest du noch eine Stufe runterfallen, durch eine saudumme Tat. Wär dich teuer zu stehen gekommen. Oder es war tatsächlich einfach Enttäuschung und Wut...“
Er trat ungehalten von einem Fuß auf den andern.
„Großer Gott!“ sagte er. „Lassen wir das. Hab die Schnauze gestrichen voll von diesem Analysieren und Erforschen. Ich wollte dem Schwein da schon lange eine Lektion erteilen, mich an seiner Angst weiden. Hab’s aber immer wieder verschoben. Na ja, heute hab ich’s gemacht. So! Sollte aber nur eine Lektion sein, klar? Denk bloß nicht, ich wollte ihn umbringen. So blöd bin ich nun auch wieder nicht.“
Er ging über den dicken Teppich zu dem Sessel, in dem Saint-Germain zusammengekauert saß. So selbstbewußt wie ein Waschlappen, nackt bis zur Gürtellinie, was ihn nicht gerade beeindruckender aussehen ließ. Einen Augenblick lang fürchtete der Bestsellerautor einen neuen Angriff, drückte sich gegen die weiche Rückenlehne. Seine verstörten Augen suchten Martins Revolver. Die leeren Hände des andern beruhigten ihn nicht sehr. Tintin baute sich vor ihm auf und fing an, ihn wüst zu beschimpfen:
„So ein Dreckskerl wie du verdient nicht zu leben! Hörst du mir zu, Bergougnoux? Aber du bist es nicht wert, daß man wegen dir in den Knast geht. Nur weil man dich Miststück abgeschlachtet hat. Wer von uns beiden wär dann wohl das Opfer, hm?“
Lachend rief er in meine Richtung:
„Da, ich liefer ihm schon wieder einen Romanstoff, diesem Schwein. DU SCHWEIN! Die Bürschchen um den berühmten Schriftsteller... Berühmt! Ja, Scheiße! Nicht mehr lange.“
Er wandte sich wieder Saint-Germain zu. Der hatte die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelegt. Wie zum Rasieren. Aber er schien sich nicht so wohl zu fühlen wie beim Frisör. In seinem kreideweißen verlebten Gesicht zuckte es unaufhörlich.
„Nein, nicht mehr lange“, zischte Burnet ihn an. „Du bist leer, erledigt, ausgepumpt. Deine Frau hat das als erste gemerkt und ist abgehaun. Mit dir kann keine Sau zusammenleben, mit deinen Intrigen, deinen Tricks, mit deiner verzweifelten Suche nach Inspiration! Nicht nur ich bin ein Versager. Du auch. Und du fällst tiefer als ich. Von ganz oben.“
Saint-Germain schwieg. Nur ein Zucken im Gesicht war die Antwort.
„Du kapierst doch immer alles“, wandte Tintin sich wieder an mich. „Also kapierst du auch das hier, Nestor. Er macht diese Idioten besoffen, mit Alkohol oder mit Schmus, provoziert Konflikte, um daraus seine Inspiration zu schöpfen. Ein Mann von erlesenem Geschmack, wie Monsieur selbst so gerne sagt. Aber immer klappt das nicht. Und wenn’s klappt, dann ist es manchmal nicht mehr zu bremsen. Raymonde zum Beispiel... du kennst die Kleine vielleicht nicht... achtzehn Jahre... hat vor kurzem Selbstmord begangen.“
Er sah den Schriftsteller an, ging einen Schritt auf ihn zu.
„Ich mach dich für Raymondes Tod verantwortlich, du ausgelutschte Hure, Hure, du...“ sagte er mit dumpf drohender Stimme. „Du hast daraus eine Novelle gemacht, eine kleine miese Novelle, du miese kleine Ratte.“
Er trat ihm kräftig vors Schienbein. Vor Schmerz fuhr Saint-Germain hoch und schlug seinem Krankenpfleger das Fläschchen Merkurichrom aus der Hand.
„Das stimmt nicht“, widersprach er nicht sehr überzeugend. „So, das reicht jetzt“, mischte ich mich ein und zog Tintin am Arm in die neutrale Ecke.
„Möchte wissen, warum man so ein Schwein mit Samthandschuhen anfassen soll“, beschwerte sich Tintin. „Hör mal, Nestor: Du findest sicher, daß ich übertreibe und Literatur produziere. Aber ich frag mich, ob er zögern würde, irgendjemanden zu einem Mord zu treiben. Nur um aus nächster Nähe das Verhalten eines Mörders zu studieren. Der bringt das fertig.“
„Ich glaub, der hat’s schon fertiggebracht“, erwiderte ich.
13.
Die Jagd des Grafen Zaroff
Ich leerte mein Glas und reichte Saint-Germain ein volles.
„Hier, trinken Sie. Vielleicht haben Sie danach weniger Schiß.“
Er führte das Glas mühsam an die zitternden Lippen und trank es in einem Zug leer. Ein paar Tropfen liefen ihm übers schlechtrasierte Kinn auf die Pyjamajacke, die ich ihm wieder umgehängt hatte. Der Anblick seines Oberkörpers war nämlich kein reines Vergnügen.
Wir zwei waren jetzt allein. Der Hausdiener war in seinem Dienstzimmer verschwunden (oder wie man das nennt). Hatte strikte Anweisung, sich nur um seinen Kram
Weitere Kostenlose Bücher