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zu kümmern. Tintin hatte ich empfohlen, sich aus dem Staub zu machen. Der Versager war offenbar mit dem Abend zufrieden. Endlich mal ‘ne Hauptrolle für ihn.
„Sie werden mich umbringen“, begann Saint-Germain zum x-ten Mal. Was anderes fiel ihm nicht ein. Für einen Schriftsteller kein ausgesprochen breitgefächertes Repertoire! In der Tat, er war völlig ausgebrannt. Ich setzte mich neben ihn.
„Sie haben die Atmosphäre um sich herum vergiftet, hm? Und daran ersticken Sie jetzt. Wollten Sie das damit sagen?“ fragte ich ihn.
In sein Gesicht war immer noch keine Farbe zurückgekehrt. Dafür zuckte es wie gehabt. Seine wässrigen grauen Augen waren so lebendig wie die einer Eule. Ängstlich wie ein gehetztes Wild blickte der Meister um sich. Er schluckte, dann sagte er wehleidig:
„Diese gemeine, undankbare Bande. Ich habe die Atmosphäre nicht vergiftet. Ist es meine Schuld, wenn diese Dummköpfe so labil sind? Und sich wer weiß was ausdenken? Wie dieser arme Irre, dieser Martin Burnet. Sie dürfen nicht glauben, was er erzählt, Burma, nicht glauben. Alles erfunden. Seine Suzy hat ihn um den Verstand gebracht.“
„Schluß jetzt“, unterbrach ich sein Geschwätz. „Ich glaub nur, was ich weiß. Was ich aber nicht weiß: Warum wollten Sie mich heute sehen? Denn das wollten Sie doch, oder?“
„Hören Sie Burma, ich
Er schwieg. Was er sagen wollte, kam ihm wohl nur schwer über die Lippen. Ich stand auf und verabreichte ihm eine zusätzliche Ration Alkohol. Wie bei einem Kranken. Dann blieb ich vor ihm stehen und wartete auf seine Erklärung. Der Alkohol schien ihm etwas von seiner Selbstbeherrschung wiederzugeben.
„Na ja, Burma“, stammelte er, „...also, ich wollte Ihnen sagen... ich... äh... hab vielleicht was für Sie... beruflich, meine ich... äh... Interessieren Sie sich für den Mord an diesem Neger, im Diderot-Hôtel?“
„Das wissen Sie doch ganz genau.“
Er fuhr hoch.
„Wie... wieso... soll ich das wissen?“
„Spielen Sie nicht den Naiven. Sie haben gehört, wie ich im Cave-Bleue mit dem Nachtportier telefoniert habe. Seitdem wissen Sie’s. Hab ziemlich lange gebraucht, um draufzukommen. Sie standen an der Theke, konnten näher an die Kabine gehen, um nichts von dem Gespräch zu verpassen. Na ja, irgendwann ist mir das dann doch noch aufgefallen. Zu diesem Zeitpunkt — ich meine, als Sie das Gespräch belauscht haben — wußten auch Sie, daß der Schwarze tot war. Also war für Sie klar: Nestor Burma interessiert sich für den Fall. Und als Sie später den Schmuck loswerden wollten, haben Sie ihn mir vor die Tür gelegt. Sie wußten nämlich aus der Presse, daß Privatdetektive im Namen der Versicherungsgesellschaft mit den Schmuckdieben Kontakt aufnehmen sollten, damals... Und da haben Sie kombiniert.“
Er machte den lächerlichen Versuch, entrüstet zu erscheinen. „Aber, aber, Burma... Sie wollten mir doch nicht zufällig den Mord in die Schuhe schieben?“
„Oh, nein!“ sagte ich lächelnd. „Den Namen des Mörders werden Sie mir gleich nennen. Denn jetzt kriegen Sie so langsam Angst vor ihm. Also waren Sie’s nicht.“
„Und... wer... wer dann?“
„Ein Dichter. Rémy Brandwell... Ja, nehmen wir fürs erste Rémy Brandwell.“
Saint-Germain sank noch tiefer in seinen Sessel.
„Großer Gott! Sie wissen aber auch alles. Da bleibt für mich nicht mehr viel Hoffnung...“
„Ich weiß zwar nicht alles, aber so einiges, immerhin...“
„Und zwar viel zuviel“, knurrte eine rauhe Stimme hinter mir.
Germain Saint-Germain stieß einen kurzen Angstschrei aus. Wie eine alte Frau. Ich drehte mich um. Der Kerl hatte einen Revolver in der Hand. Wie fast jeder heute nacht. Ich hatte meinen auch noch im Anschlag. Der neue Besucher war groß, hatte lange Haare und ein aufgedunsenes Gesicht. Seine Beine steckten in Bluejeans. Über einem Cowboyhemd trug er eine amerikanische Jacke mit Lederflicken an den Ellbogen. Ich hatte das Gefühl, daß dieser Abend nach dem vielversprechenden Beginn noch für einige Überraschungen gut war. Jedenfalls hatte ich meine Automatik praktisch nicht aus der Hand gelegt, seitdem ich in diese Wohnung gekommen war.
„Salut, mein Dichter“, sagte ich. „Komische Verse machst du heute.“
„Geht dich ‘n Dreck an“, zischte er und drehte seine dicke, behaarte Nase in Saint-Germains Richtung. Seine Nasenflügel bebten, so als wittere er schon einen leckeren Braten.
„Hm, Bergougnoux? Gerade dabei, mich zu verpfeifen?“
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