No & ich: Roman (German Edition)
um mich zum Lachen zu bringen (nur Madame Rivery nicht, er weiß, dass ich sie toll finde und dass Französisch mein Lieblingsfach ist), er zeigt uns seine Comics, seine Poster, seine Zeichen- oder Animations-Software, wir hören Musik oder sehen Filme, aufs Sofa gefläzt, ich schiebe mich zwischen No und ihn, ich spüre die Wärme ihrer Körper an meinem, und mir ist, als könnte uns niemals etwas zustoßen.
No und ich gehen zu Fuß zurück; die Schals um den Hals gewickelt, stemmen wir uns gegen den Wind, wir könnten kilometerweit so gehen, Seite an Seite, immer weiter geradeaus, wir könnten anderswohin gehen, um zu sehen, ob das Gras dort grüner ist und das Leben weniger hart, weniger schwierig.
Was auch geschieht, wenn ich später an sie denken werde, dann werden diese Bilder vorherrschen, das weiß ich, diese leuchtenden, intensiven Bilder, ihr offenes Gesicht, ihr Lachen mit Lucas, die Wollmütze, die mein Vater ihr geschenkt und die sie über ihr verwuseltes Haar gezogen hat, diese Momente, in denen sie bestimmt sie selbst ist, ohne Angst, ohne Groll, ihre im blauen Schein des Fernsehers glänzenden Augen.
A n dem Abend, als No uns verkündete, sie habe Arbeit gefunden, ging mein Vater los und kaufte eine Flasche Champagner. Wir mussten die Kristallkelche erst spülen, sie waren schon lange nicht mehr benutzt worden, wir hoben unsere Gläser und stießen auf Nos Wohl an, mein Vater sagte, nun beginne ein neues Leben, ich suchte auf ihren Gesichtern nach ihren Gefühlen, No hatte rosige Wangen, da brauchte man kein Spezialist zu sein, ich glaube sogar, sie gab sich unheimliche Mühe, nicht zu weinen. Als sie uns mehr darüber erzählte, sah mein Vater so aus, als fände er die Arbeit nicht ideal, aber sie war so glücklich, dass ihr niemand die Freude verderben oder auch nur den kleinsten Vorbehalt äußern wollte.
Jeden Morgen ab sieben Uhr arbeitet No als Zimmermädchen in einem Hotel in der Nähe der Bastille. Um sechzehn Uhr hört sie auf, aber an manchen Tagen muss sie länger bleiben, um den Kellner an der Bar zu vertreten, wenn er Einkäufe oder Lieferungen zu erledigen hat. Der Arbeitgeber hat sie als Halbtagskraft gemeldet, den Rest zahlt er schwarz. Sie hat meinen Eltern gesagt, sie würde sie von ihrem ersten Lohn ins Restaurant einladen und dann ausziehen, sobald sie eine Bleibe gefunden hätte. Die beiden antworteten im Chor, das habe wirklich keine Eile. Sie solle sich Zeit lassen. Bis sie sicher sei, dass ihr die Arbeit zusage. Meine Mutter bot ihr an, ihr ein oder zwei Garnituren Arbeitskleidung zu kaufen, wir lachten uns halb tot, als wir in den Versandhauskatalogen blätterten und uns No in einem geblümten Nylonkittel vorstellten, es gab sie in allen Formen und Farben, vorn oder hinten geknöpft, mit großen Taschen, und es gab auch Spitzenschürzchen wie in den Filmen von Louis de Funès.
Jetzt steht No vor uns auf. Ihr Wecker klingelt um sechs, sie macht Kaffee, schlingt eine Scheibe Brot hinunter und geht dann in die Dunkelheit hinaus. Mittags isst sie ein Sandwich mit dem Kellner an der Bar, sie sitzt dann auf einem der Barhocker, aber nicht länger als eine Viertelstunde, sonst brennen dem Chef die Sicherungen durch (ich hab’s im Wörterbuch nachgeschlagen, sobald sie mir den Rücken zukehrte). Bevor sie abends das Hotel verlässt, zieht sie sich um, sie lässt ihr Haar wieder offen hängen, streift den Blouson über, läuft denselben Weg wieder zurück und kommt erschöpft zu Hause an. Sie legt sich dann einen Moment hin, ein Kissen unter den Beinen, und manchmal schläft sie ein.
Jeden Tag muss sie etwa zwanzig Zimmer sauber machen und außerdem alle Gemeinschaftsräume, Salon, Eingang, Flure, sie hat keine Zeit zum Träumen, der Chef sitzt ihr immer im Nacken. Sie hat uns die Hotelgäste nie wirklich beschreiben können, es ist wohl eine gemischte Kundschaft, manchmal erzählt sie von Touristen, manchmal von Geschäftsreisenden. Es ist immer voll. Ihr Chef hat ihr gezeigt, wie man die schmutzige von der sauberen Wäsche trennt (wobei er da sehr persönliche Vorstellungen hat), wie man die nur einmal benutzten Handtücher faltet, damit sie nicht gewaschen werden müssen, und die kleinen Shampoofläschchen wieder auffüllt. Sie darf nicht Pause machen, sich hinsetzen oder mit den Gästen sprechen, einmal hat er sie erwischt, wie sie im Erdgeschoss eine Zigarette rauchte, dies sei die erste und die letzte Abmahnung, hat er gebrüllt.
Die Sozialarbeiterin hat ihre Akte für
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