Noah: Thriller (German Edition)
gönnen. Nicht zu diesem Zeitpunkt, unmittelbar vor Beginn der Katastrophe.
Seitdem er aus der Krankenstation in sein Schlafzimmer verlegt worden war, hatte er nichts anderes getan, als sich über die Lage der Welt zu informieren, die sich sekündlich zu verschlechtern schien. Jetzt trat auch noch der amerikanische Präsident mitten in der Nacht mit sorgenfinsterer Miene vor die Kamera. Philipp Baywater saß nicht hinter seinem Schreibtisch im Oval Office. Möglicherweise hatte er sich aus der Air Force One zugeschaltet, vielleicht hatte er auch schon einen sicheren Bunker aufgesucht.
»Wird er es wagen?«, flüsterte Cezet über die Begrüßungsfloskeln hinweg.
»Ich fürchte schon«, sagte Zaphire. Dann drehte er den Ton lauter, und mit dem auffälligen Südstaatenakzent, der von so vielen Comedians weltweit parodiert wurde, begann der mächtigste Mann der Welt seine Ansprache an die Nation:
»Heute muss ich Ihnen eine heikle Botschaft übermitteln. Die Nachrichten der letzten Wochen haben uns besorgt, die Meldungen der letzten Stunden in Angst und Schrecken versetzt. Flughäfen schließen, Krankenhäuser sind überfüllt, Apotheken rationieren die Medikamentenausgabe. In einigen Teilen des Landes ist der Notstand ausgerufen, Landstriche werden abgeriegelt, und die Nationalgarde ist damit beschäftigt, Recht und Ordnung in diesen schweren Zeiten zu sichern.«
Schwere Zeiten?
Zaphire spürte nichts als Verachtung, wenn er diese hohlen Phrasen hörte.
Erzähl mal den dreihundert Millionen Menschen auf der Welt, die wegen deiner Umweltpolitik durch Dürre, Unwetter und Flutkatastrophen ihre Existenz verloren haben, etwas von schweren Zeiten. Oder mach einfach noch drei Jahre so weiter, dann haben wir eine halbe Milliarde Klimaflüchtlinge auf der Welt.
»Unser Land hat viele Krisen bewältigt, viele Angriffe abgewehrt.«
»Ja. Auf den Benzinpreis«, höhnte Zaphire. Cezet nickte zustimmend. Ihre schwarze Haut glänzte in dem bläulichen Licht des abstrahlenden Fernsehbilds, als wäre sie in Öl getaucht.
»Doch unser jetziger Feind, die Manila-Grippe, scheint tückischer zu sein als all unsere Gegner zuvor. Ich sage ausdrücklich scheint.«
»Worauf will er hinaus?«, fragte Cezet in die bedeutungsschwangere Pause, die der Präsident ließ, mit erhobenem Zeigefinger und strengem Gesichtsausdruck.
»Denn dieses hochansteckende, tödliche Virus, der für Hunderttausende von Toten verantwortlich sein soll, existiert nicht.«
»Was?« Cezet schrie vor Entsetzen in den Fernseher. Zaphire hingegen verzog keine Miene.
Sieh mal einer an. Das hätte ich dem Feigling gar nicht zugetraut , dachte er, als Baywater noch einen drauflegte.
»Es gibt keine Manila-Grippe. Sie ist nichts weiter als eine Erfindung der Medien und der Pharmaindustrie.«
Zaphire drehte den Ton leiser und griff zum Bordtelefon neben seinem Bett, um dem Piloten die Kursänderung mitzuteilen. So leid es ihm tat, aber Noah war jetzt zweitrangig. Wenn er noch etwas retten wollte, hatte die Privataudienz beim Papst absolute Priorität.
21. Kapitel
Rom, Italien
Normalerweise nahm Dr. Bertani die Treppe. Enge Räume konnte er nicht leiden, schon gar nicht, wenn sie sich bewegten, weswegen er Städte wie New York oder Hongkong mied, in denen man ohne Aufzug ungefähr so aufgeschmissen war wie in Los Angeles ohne Auto. Zu den Zellen im dritten Untergeschoss gelangte man jedoch ausschließlich mit dem Fahrstuhl. Eine baupolizeiliche Todsünde, aber wer sollte die fehlenden Fluchtwege monieren, wenn keine offizielle Stelle von diesem Teil des Gebäudes überhaupt Kenntnis hatte? Der Intensiv-Keller , wie sie ihn nannten, war in keinem Bauplan verzeichnet. Und die Architekten und Arbeiter, die ihn erbaut hatten, waren lange tot. Seit über zweitausend Jahren.
Die Neo Clinica in Rom, ein psychiatrisches Privatkrankenhaus im Stadtteil Trastevere, war auf den Grundmauern eines stattlichen Patrizierpalastes erbaut, deren Fund nie dem Amt für Denkmalschutz gemeldet worden war. Ideale Voraussetzungen, um unliebsame Patienten wegzuschließen.
So wie Kilian Brahms in Zelle 4 A.
Dr. Bertani stieg aus dem Fahrstuhl, glücklich, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, und schaltete das Licht an. Beim Gang über den grün gestrichenen Betonboden quietschten seine Turnschuhe. Hier unten war es so kalt wie in seinem Weinkeller in Genzano di Roma, wo ihm ein kleiner Bungalow gehörte, von dessen Terrasse aus man bei gutem Wetter die Schiffe auf dem
Weitere Kostenlose Bücher