Noah: Thriller (German Edition)
Katastrophenfahrt, die noch lange nicht am Ende war.
Noah fasste sich an die Schulter. Infolge der Anstrengungen schmerzte seine Narbe wieder wie Feuer. Er konnte nur hoffen, dass die Haut nicht wieder aufgerissen war.
»Komm mal her.« Nach Luft ringend wedelte Altmann mit einem Zettel, den er von der mittleren der drei Fahrstuhltüren gelöst hatte.
Neugierig geworden, schritt Noah über den mit schweren Granitfliesen ausgelegten Boden. Dem scheußlichen Schachbrettmuster nach zu urteilen musste das Gebäude in den frühen achtziger Jahren errichtet worden sein.
Altmann zog die Nase hoch. »Sagt dir das irgendwas?«
Ja. Nein.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Noah, obwohl das nicht der Wahrheit entsprach. Er kannte das Bild – eine ausgeblichene Farbfotokopie von jener Zeichnung, die er erst gestern in einer Tageszeitung entdeckt hatte und mit der seine Reise in den Wahnsinn begonnen hatte.
Gestern, in der Nacht auf dem U-Bahnhof, die gefühlte Jahre zurücklag, hatte er vor seinem geistigen Auge einen Kamin gesehen, den blutgetränkten Teppich und einen sterbenden Mann. Er hatte sich detailgenau an das Hotelzimmer erinnert, in dem er noch am selben Abend beinahe selbst ermordet worden wäre. Damals hatte er geglaubt, dieses Bild, Der Bach des Ostens, das angeblich eine Million Dollar wert war, selbst gemalt zu haben, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern, was diese Assoziation ausgelöst hatte.
Darf ich es behalten?
»Auf jeden Fall ist es ein Wegweiser«, krächzte Altmann. Er deutete auf einen schwarzen Pfeil in der rechten Bildecke, der nach unten zeigte und mit –2 beschriftet war. »Wir müssen in den Keller.«
Blut und Sekret verstopften seine Nase. Mittlerweile klang es so, als wären auch die Stimmbänder des Agenten mit einem feuchten Belag überzogen. Nicht einmal zwei Stunden waren vergangen, seitdem sie das Boot verlassen hatten, und Altmann wirkte erneut um Jahre gealtert. Noah hatte das Gefühl, als sähe er dem Mann in Zeitraffer beim Sterben zu.
Er schüttelte den Kopf. »Wir haben schon Celine und Oscar verloren. Auch du bist am Ende. Und alleine schaffe ich das nicht.«
Altmann ignorierte Noah und drückte auf den Rufknopf für den Fahrstuhl. Irgendwo in den Eingeweiden des Aufzugs setzte sich ein stählernes Mahlwerk in Bewegung.
»Glaubst du wirklich, hier auf Kilian Brahms zu treffen?«, fragte Noah.
Oder auf das Video, das der Reporter uns zeigen wollte? Hoffst du ernsthaft, ein Gegenmittel zu finden, das dir den Tod erspart?
Altmann schüttelte den Kopf, wirkte aber nicht resigniert. »Nein, natürlich nicht. Das hier ist eine Falle.«
»Aber?«
»Ich will wissen, wer sie uns gestellt hat.«
Hinter den stumpfen Edelstahltüren des Fahrstuhls erklang ein Surren.
»Du nicht?«
In der Stockwerkanzeige hatte sich der von Altmann gerufene Fahrstuhl von der obersten Etage bis zum zweiten Stock nach unten gekämpft.
Doch, natürlich.
Auch Noah wollte endlich Antworten. Ob er wirklich etwas mit dieser Pandemie zu tun hatte. Ob er tatsächlich an der Entwicklung jener drei Stufen beteiligt gewesen war, von denen Kilian Brahms am Telefon gesprochen hatte, mit denen angeblich die Hälfte der Weltbevölkerung ausgelöscht werden sollte. Ob am Ende er der Einzige war, der die Katastrophe noch abwenden konnte.
Im Moment allerdings, so dachte Noah, spricht alles dafür, dass ich nicht der Wahrheit entgegen, sondern meinen Killern in die Arme laufe.
»Und was ist unser Plan?«, fragte er Altmann. Der öffnete bereits den Mund, doch dann erfasste ihn ein Krampf, sein Oberkörper krümmte sich. Er fluchte mit zusammengebissenen Zähnen, presste sich vor Schmerzen beide Fäuste in die Magengrube und keuchte, nachdem es ihm wieder etwas besser ging, ohne aufzuschauen: »Wie du siehst, hab ich nichts mehr zu verlieren, Kumpel. Aber ich kann verstehen, wenn du das Handtuch wirfst.«
In dieser Sekunde öffnete sich die Fahrstuhltür.
Reflexartig zog Noah seine Waffe, doch außer seinem und Altmanns Spiegelbild gab es in der leeren Aufzugskabine nichts zu sehen.
Keine Gefahr.
»Warte«, sagte Altmann und hielt Noah zurück.
Mit einiger Mühe kramte er aus seiner Hosentasche etwas hervor, das wie ein Kugelschreiber aussah.
»Was ist das?«, fragte Noah.
»Ein HPX5.« Altmann rang sich ein Lächeln ab. »Vielleicht doch keine so schwachsinnige Spielerei, wie ich immer dachte.«
Er bat Noah, die Lichtschranke zu blockieren, während er in die Kabine trat und das
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