Noah: Thriller (German Edition)
Ihnen will niemand hier an die verfettete Haut. Ich wollte nur verdeutlichen, dass wir ohne Berge an Pillen, Spritzen und Tabletten niemals in der Lage wären, den mörderischen Hunger unserer industriellen Schlachthöfe zu stillen. In einem herkömmlichen Betrieb in den USA werden tausend Schweine getötet, und zwar stündlich!«
Er sah einige im Publikum den Kopf schütteln. In den vorderen Reihen aß niemand mehr.
»Sie bezweifeln diese gewaltige Zahl? Sie haben recht. In den meisten Betrieben sind es nicht tausend, sondern fünfzehnhundert Tiere, wir produzieren ja schließlich auch für den Export, womit wir wieder bei Akin wären.«
Zaphire trat vom Rednerpult weg in die Mitte der Bühne. »Meine Damen und Herren, machen Sie bitte einmal das, was Sie am besten können. Vergessen Sie einfach, was Sie wissen.«
Er lächelte diabolisch.
»Es geht hier nicht um die Umweltschäden, die ein einziger Hamburger anrichtet, weil für seine Herstellung so viel Wasser verschmutzt wird, wie Sie für siebzehn Duschbäder brauchen. Vergessen Sie, dass ein Drittel aller fossilen Brennstoffe der USA für die industrielle Fleischerzeugung draufgehen. Und ignorieren Sie die Tatsache, dass Sie nur einen Blick auf die tumben Breitarschgesichter vor der Kasse eines Fastfood-Restaurants werfen müssen, um zu begreifen, dass wir viel zu viel Fleisch essen, während alle sechs Sekunden in der Welt ein Kind an Hunger stirbt.«
Zaphire drehte sich zur Leinwand. »Oder verdurstet, wie Akin in wenigen Stunden, wenn sein Schlauchboot nicht vorher kentert.«
Auf der Videoaufnahme sah man, wie sich der junge Afrikaner mit beiden Händen den Kopf hielt. Vermutlich wegen der rasenden Schmerzen, die eine Dehydrierung auslöst.
»Aber was hat das Stück Sondermüll auf Ihrem Teller nun mit Akins Schicksal zu tun, werden Sie sich vielleicht fragen, wenn Sie mir überhaupt noch zuhören und nicht gerade heimlich unter dem Tisch mit dem Handy die Börsenkurse checken.«
Viele nickten. Ein Mann lachte laut auf, offenbar ertappt. Zaphire sah böse in seine Richtung.
»Wir produzieren nicht nur den ungenießbaren, pharmazeutisch verseuchten Fleischabfall auf Ihrem Teller, den wir hochtrabend Lebensmittel nennen. Wir erzeugen sogar viel zu viel von dem Müll. Die Tiere, die wir allein in den USA abschlachten, produzieren neununddreißig Tonnen Scheiße in der Sekunde! Hundertdreißigmal mehr Kacke, als sich die gesamte Weltbevölkerung aus dem Arsch drückt. Unsere Viehzüchter kurbeln diese im wahrsten Sinne des Wortes beschissene Überproduktion an, weil sie Geld dafür bekommen. Viel Geld. Dreihundertfünfzig Milliarden. Das ist die Zahl, um die es geht. Dreihundertfünfzigtausend Millionen US-Dollar haben die Landwirte und Bauern der OECD-Staaten an Export- und Agrarsubventionen im letzten Jahr erhalten. Das sind Ihre Steuergelder! Sie finanzieren den Export von Billigfleisch, vor allem in die Regionen, in denen man nicht wählerisch sein darf, wenn man nicht verhungern will. Nach Accra zum Beispiel, einem Markt in Ghana, und hier schließt sich der Kreis. Noch vor einem Jahr bot Akins Vater in Accra seine Waren feil, um die Familie zu ernähren.«
Das war natürlich eine reine Mutmaßung, aber sie machte die Geschichte plastischer, und das war notwendig, wenn Zaphire die Aufmerksamkeit der Zuhörer nicht verlieren wollte.
»Bei Akins Vater kostete ein Hühnchen zwei Dollar. Aber dank den Exportsubventionen können die Bauern der EU ihren Fleischmüll zu Dumpingpreisen nach Afrika schippern. Und deshalb kostet das ausländische Huhn dort nur fünfzig Cent. Dreimal dürfen Sie raten, bei wem die Bevölkerung kauft: bei Akins Vater oder bei dem ausländischen Importeur?«
Zaphire trat zurück ans Pult.
»Ihr Hunger auf Fleisch, meine Damen und Herren, und Ihre verdammte Ignoranz frisst Menschen. Menschen wie Akin. Während Millionen Kinder verhungern, verbrennen wir Getreide, um daraus Biosprit zu machen. Getreide, das dadurch auf dem Weltmarkt immer teurer wird, unbezahlbar für eine afrikanische Familie, auch weil die Bank, der Sie hier im Saal Ihr erschlichenes oder ererbtes Geld anvertrauen, mit diesem Geld auf steigende Lebensmittelpreise an den Börsen wettet. Gleichzeitig ruinieren wir mit Schleuderpreisen die einheimische Viehzucht in den Entwicklungsländern. Willkommen in der freien Marktwirtschaft.«
Zaphire wischte sich den Schweiß von der Stirn. Unzählige Male hatte er diese und andere Reden bereits gehalten.
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