Noah: Thriller (German Edition)
allerdings besaß das Attentat von heute Nachmittag eine neue Qualität. Bislang hatten die Schweine immer nur seine Fabriken zerbomben wollen, um die Produktion der Medikamente zu stoppen, die er zum Selbstkostenpreis in Entwicklungsländer liefern ließ. Ab heute schienen sie entschlossen, das »Übel« an der Wurzel ausreißen zu wollen.
Was für verzweifelte Pisser.
»Computer«, bellte Zaphire in den Raum.
Die Ärzte sahen sich fragend an. Stealth wagte einen Einwand. »Ich finde es noch zu früh …«
»Und ich finde, Sie atmen mir hier die Luft weg. Hopp, hopp, hopp, bringen Sie mir einen Rechner. Und ein Telefon.«
Die sanft geschwungenen Wände des Krankenzimmers vibrierten, und plötzlich sackte der Boden erneut unter seinem Bett nach unten. Im gleichen Augenblick verstärkte sich das sanfte Dröhnen, das sie unaufhörlich umgab, so stetig und permanent, dass man es beinahe vergessen konnte.
Zaphire hatte nicht gesehen, wie einer der Anwesenden den Rufknopf gedrückt hatte, dennoch öffnete sich die Schiebetür, und eine junge Frau betrat die Krankenstation, deren Anblick zum ersten Mal für gute Laune bei ihm sorgte. Sie trug flache Sneakers zu eng anliegenden Röhrenjeans. Ihre schwarze Haut glänzte beinahe so sehr wie der Bildschirm des Tablet-Computers, den sie ihm reichte.
»Hallo, Cezet, schön, dass du da bist.«
Wie immer bewunderte er sie für ihre gerade, hochgewachsene Körperhaltung, die ihn an eine Balletttänzerin erinnerte.
»Wo sollte ich denn sonst sein, Dad?«
Cezet tätschelte ihm liebevoll die Hand und strich ihm eine Haarsträhne aus dem altersfaltigen Gesicht. Zaphire lächelte breit, auch weil die Ärzte und Schwestern endlich die Intensivstation verließen und er allein mit seiner Tochter war.
Schon dem Namen nach war Cezet weder ein gewöhnlicher Bodyguard noch eine gewöhnliche Tochter. Zaphire hatte die Somalierin in Dadaab kennengelernt. Damals war sie sieben Jahre alt. Ursprünglich war das Flüchtlingscamp im Nordosten Kenias für neunzigtausend Menschen ausgelegt. Als Zaphire es Ende der neunziger Jahre mit einem Ärzteteam besuchte, vegetierten hier schon über vierhunderttausend Seelen in unvorstellbarem Elend vor sich hin. Frauen und Kinder, Kranke und Hungernde, die ihr Leben im bürgerkriegszerrütteten Somalia zurückgelassen hatten, um in Dadaab auch noch den Rest ihrer kümmerlichen Existenz zu verlieren. Als Zaphire die Krankenstation, ein schlichtes Planenzelt, besichtigte, war der blutverschmierte Fußboden mit alten Spritzen, dreckigen Verbänden und sonstigem Krankenhausmüll übersät gewesen. Mehrere Pritschen standen durcheinander, auf allen lagen Menschen schwarzer Hautfarbe. Einige von ihnen bereits tot, manche atmeten fiebrig, ein Jugendlicher krümmte sich vor Schmerzen in seinem eigenen Kot – und kein Mediziner weit und breit. Somalische Milizen hatten mehrere Anschläge auf Hilfskonvois verübt und das begleitende Ärzteteam verschleppt.
Zaphire wies seine Männer an, die mitgebrachten Hilfsgüter aus dem Flugzeug zu verladen, bevor seine Ankunft sich auch noch bis in den letzten Winkel des Camps herumgesprochen hatte. Schon zu diesem Zeitpunkt war kaum mehr ein Durchkommen zum Krankenlager; Hunderte standen in der Schlange: Männer auf Krücken, Frauen mit Babys, Kinder, deren Hände von Macheten amputiert worden waren, von eitrigen Infektionen Gezeichnete, die die Wartenden ansteckten.
Zu viele. Viel zu viele, hatte Zaphire gedacht. Die Flut des Elends war zu groß. Und in Afrika, dem Kontinent mit der höchsten Geburtenrate der Welt, wurde es täglich größer. Die Ärmsten der Armen produzierten immer mehr dem Tod und Elend Geweihte. Konnte man den jungen, ausgehungerten Kriegern überhaupt einen Vorwurf machen, dass sie sich gegenseitig in Bürgerkriegen abschlachteten? Was war denn die Alternative?
Zaphire standen die Tränen in den Augen, als ein Schuss vor dem Zelt die vierzig Grad heiße Luft zerriss. Kurz danach stürmte ein kleines Mädchen durch die Planen. Sie zog eine geflochtene Trage hinter sich her, auf der ihre Mutter lag. Der Körper der jungen Frau hatte durch die Cholera so viel an Gewicht verloren, dass selbst eine Siebenjährige ihn über Kilometer hinweg hatte schleppen können. Leider vergeblich. Zaphire erkannte sofort, dass er der Frau nicht mehr helfen konnte. Die Mutter war bereits tot, was er der Tochter klarzumachen versuchte, die bitterlich weinend ihre Waffe nun auf ihn richtete; eine
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