Nobels Testament
Annika ins Ohr.
In der Sekunde darauf erreichten sie die Abgase. Annika begann zu husten und hielt sich die Nase zu. Womit betrieb er dieses Scheißding? Mit Rohöl?
Thomas erhob sich und kam zu Annika herüber.
»Das geht so nicht«, sagte er. »Wir müssen reingehen.«
Annika nickte, nahm Glas, Teller und Serviette und stand auf. Den Gästen gab sie ein Zeichen, es ihr gleichzutun. Gemeinsam begaben sie sich ins Esszimmer, das edle Porzellan und die Kristallgläser von Thomas’ Großvater balancierend.
Annika schloss die Terrassentür hinter ihnen, dennoch drang das Maschinengeräusch durch Dichtungen und Glasscheiben herein.
»Er ist ein wenig eigen, unser Nachbar«, sagte Thomas entschuldigend.
»Unser Haus ist auf einem alten Gemeinschaftsgrund gebaut worden«, fuhr Annika fort. »Unser Nachbar akzeptiert nicht, dass die Gemeinde Danderyd ihn als Baugrund verkauft hat, deshalb beansprucht er das Recht, über das Gelände zu verfugen.«
Sie warf einen Blick zu Thomas hinüber und verstand, dass sie lieber schweigen sollte.
»Es ist eine Tatsache, dass in jedem Jahr Morde aufgrund von Nachbarschaftsfehden begangen werden. Die Leute zerstreiten sich wegen Treppenhäusern und Waschküchen und Schaukeln und weiß Gott was.«
Sie hob ihr Weinglas.
»Aber darüber wissen Sie natürlich Bescheid, Sie sind ja Profis«, sagte sie und trank einen Schluck.
Uff, war das sauer. Sie mochte wirklich keinen Wein.
»Es ist noch nicht lange her, dass wir am obersten Gerichtshof eine Nachbarschaftsfehde hatten«, sagte Jimmy Halenius.
»Ist jemand dabei umgekommen?«, fragte Annika.
»Nur ein Kirschbaum«, sagte der Staatssekretär. »Es ging um einen zugeschütteten Bachlauf, wenn ich mich recht entsinne. Irgendwo außerhalb von Göteborg. Die Nachbarn haben den Prozess durch die gesamte Rechtsmaschinerie geprügelt, ohne sich einig zu werden. Nicht einmal der oberste Gerichtshof war am Ende einer Meinung.«
»Schwierige Sache«, sagte Larsson. »Ich habe neulich über einen Fall in Torslanda gelesen. Der eine Nachbar hatte dem anderen die Nase umgedreht. Ich glaube, sie stritten um einen Bootsschuppen.«
In diesem Moment sah Annika, wie Wilhelm Hopkins im Loch in der Hecke auftauchte, durch das er sonst mit seinem Auto fuhr. Unter Schweißbächen schob er die riesige Mähmaschine vor sich her und fuhr, ohne zu zögern, von seinem Grundstück auf das von Annika und Thomas. Er spannte die Muskeln, holte Schwung und fuhr geradewegs über Annikas neu angelegtes Blumenbeet.
Sie erhob sich, vollkommen sprachlos.
Gleichzeitig hielt Wilhelm Hopkins inne, schaute einen Moment zum Haus herüber, vollführte dann eine viertel Drehung mit seiner Maschine und nahm sich den Rest der Bepflanzung vor. Sommerphlox und Studentenblumen und Fleißige Lieschen flogen durch die Luft, als die schlammigen Messer sie zerfetzten.
Es gab einen Kurzschluss in ihrem Kopf, all die Blumen, die Blumen der Kinder, die sie eingepflanzt und gegossen hatte.
»Nein, also jetzt reicht’s«, sagte sie und warf ihre Serviette auf den Boden.
Sie stürzte zur Terrassentür und riss sie auf, rauschte über die Veranda hinaus und über den Rasen. Mit beiden Händen stieß sie Wilhelm Hopkins vor die Brust, sodass er den Rasenmäher loslassen musste, der sofort hustete und erstarb.
»Hilfe!«, rief Wilhelm Hopkins theatralisch. »Sie greift mich an. Hilfe!«
»Haben Sie nicht mehr alle Tassen im Schrank?«, schrie Annika, ihre Stimme dröhnte durch die plötzliche Stille. »Haben Sie überhaupt keinen Anstand? Wie können Sie es wagen, mein Blumenbeet zu zerstören?«
Sie wollte den Mann erneut boxen, doch er wich einen Schritt zurück und zog den Rasenmäher mit sich.
»Sie kleines Miststück«, sagte er, und seine Stimme triefte vor Verachtung. Er schaute an sich hinunter, um nachzusehen, ob ihre Berührung Schmutz hinterlassen hatte. Dann machte er einen weiteren stolpernden Schritt rückwärts.
»Das werden Sie bereuen«, schrie er. »Ich rufe jetzt die Polizei, die Polizei rufe ich jetzt!«
»Bitte, nur zu!«, schrie Annika zurück. »Sie haben das halbe Justizministerium hier als Zeugen …«
Plötzlich lagen Thomas’ Hände um ihre Oberarme, sie hoben sie hoch, sodass sie den Boden unter den Füßen verlor, und wirbelten sie um hundertachtzig Grad herum.
»Ich entschuldige mich vielmals im Namen meiner Frau«, sagte Thomas.
»Was soll die Scheiße?«, rief Annika und versuchte sich loszumachen.
Thomas war vor Scham und Zorn hochrot
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