Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
Vom Netzwerk:
wecken. Sie seufzte erleichtert.
    Ellen regte sich im Schlaf, streckte sich genussvoll und ausgiebig. Die Bewegung erinnerte Annika an Whiskas, ihre gelbe Katze, die inzwischen schon so lange tot war.
    Ich muss jetzt aufstehen, dachte sie. Ich muss Frühstück machen und die Kinder in die Kita bringen.
    Kalle musste heute wieder zurück in seine Vorschulklasse.
    Ihr Magen verkrampfte, wenn sie darüber nachdachte, wie ausgeliefert er war.
    Könnte sie doch etwas tun.
    Hätte sie doch nur ein bisschen Macht.
    Aber eigentlich habe ich Macht, dachte sie.
    Sie starrte an die Decke und ließ den Gedanken wachsen.
    Es gab Mittel und Wege, sich Macht zu verschaffen. Sogar auf ziemlich einfache Weise, sie hatte diese Mittel ja schon ihr Leben lang angewandt. Macht war nicht umsonst, sie kostete immer, aber in diesem Fall war sie bereit, den Preis zu bezahlen.
    Ich habe eine Wahl, dachte sie. Ich kann es tun, wenn ich will.
    Sie wälzte sich auf Thomas’ Seite des Bettes und kroch zu ihrer Tochter.
    »Ellen«, flüsterte sie, »mein Mädchen, es ist Zeit aufzustehen.«
    Sie strich ihr über die Wangen, als Ellen die Augen aufschlug und den Blick unscharf umherschweifen ließ, ehe er auf Annika fiel. Dieses Lächeln, ach, dieses Lächeln, vollkommen vertrauensvoll und herzenswarm, und dann die schlaftrunkene Stimme.
    »Mama!«
    Verschwitzte Ärmchen um ihren Hals, der süße Duft nach Hundewelpen und Baumwollschlafanzug. Annika wiegte all das in ihren Armen und wollte nie, nie, nie aufstehen müssen.
    »Gehen wir heute in die Kita, Mama?«
    »Ja«, flüsterte Annika, »heute ist Kita-Tag.«
    Das Mädchen wand sich aus ihrer Umarmung. Sie sprang im Bett auf und hüpfte glücklich auf der sauteuren Matratze.
    »Heute mach ich meinen Beutel fertig«, sagte sie, und ihr Haar flog. »Ich mache einen Beutel, Mama, mit roten Taschen drauf und ganz vielen Knöpfen.«
    »Wie schön«, sagte Annika und hätte am liebsten geweint.
    Der Jeep kam vor der Kita zum Stehen. Es war kurz vor neun, und der Hof wimmelte von Kindern. Sie spähte angestrengt über den bunten Haufen, suchte nach zwei kräftig gebauten Jungen mit schickem Haarschnitt und teuren Turnschuhen.
    Da. Da waren sie. Sie standen hinten am Zaun und traten gegen ein Dreirad.
    »Auf geht’s«, sagte Annika und stellte den Motor ab. »Gleich fängt der Morgenkreis an.«
    Ellen löste ihren Gurt selbst und sprang hinaus, aber Kalle trödelte. Geniert pulte er an dem großen Pflaster auf seiner Stirn.
    »Kann ich das abmachen, Mama?«
    »Auf keinen Fall«, sagte Annika. »Sonst kommt vielleicht Dreck in die Wunde. Du musst mir versprechen, dass du es den ganzen Tag drauflässt, okay?«
    Der Junge nickte.
    »Und wenn sie wieder gemein zu mir sind?«, sagte er.
    Annika beugte sich dicht zu ihm.
    »Kalle«, sagte sie und schaute ihm in die Augen. »Eins verspreche ich dir. Alex und Ben werden nie mehr gemein zu dir sein. Dafür sorge ich.«
    Er seufzte und nickte und stieg aus dem Wagen.
    »Hallo, Kalle«, rief Lotta vom Eingang herüber. »Kannst du mir heute mit dem Morgenkreis helfen? Du darfst die Bücher austeilen!«
    Ein Lächeln leuchtete auf, er ließ Annikas Hand los und lief davon.
    Bald, bald würden sie beginnen, sie hatte noch ein paar Minuten Zeit.
    Annika spürte, wie ihr Puls immer schneller wurde, bis er schließlich in ihrem Kopf dröhnte. Sie bahnte sich einen Weg durch die Kinderschar, und ihr Blickfeld wurde immer enger. Es schrumpfte und verschmälerte sich, bis sie mit Tunnelblick nur noch zwei Gestalten im Auge hatte, zwei Sechsjährige, die am anderen Ende des Zauns gegen ein Dreirad traten.
    Schließlich standen sie direkt vor ihr, genau vor ihren Füßen, doch die beiden hatten sie noch nicht bemerkt. Rufend und brüllend traten sie gegen das kleine Fahrrädchen, und sie beugte sich zu ihnen hinunter.
    »Benjamin«, sagte sie leise und hielt den Arm des Jungen sehr fest.
    Der Junge sah sie erstaunt an und hielt mitten in einem Schrei inne. Ihr Gesicht war nur wenige Zentimeter von seinem entfernt, und Annika konnte sehen, wie sich die Überraschung in seinen Augen in Bestürzung verwandelte.
    »Benjamin«, flüsterte sie, »bist du gemein zu Kalle gewesen?«
    Der Unterkiefer des Jungen sank, und seine Zunge kam ein Stück hervor.
    »Eins musst du wissen«, fuhr Annika im selben Tonfall fort, und ihr Herz schlug so hart, dass sie ihre eigenen Worte kaum vernahm.
    »Wenn du noch ein Mal,
noch ein einziges Mal
gemein zu Kalle bist, dann schlage ich dich tot.

Weitere Kostenlose Bücher