Nobels Testament
Reusen und Netze.
Warum war dann der Schnaps schon eingegossen?
Sie hielt inne und starrte in den Sonnenuntergang. Das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte, wurde immer stärker. Sie ging zum Auto zurück, grub ihr Handy aus und rief bei der Kraftfahrzeugregistrierung an. Der Ford gehörte Lars-Henry Svensson, gemeldet im Ringvägen in Stockholm. Herzlichen Dank.
Sie steckte das Telefon in die Tasche.
Er musste hier irgendwo sein.
Wie lange mochte er weg sein? Waren die Kartoffeln noch warm? Der Schnaps noch kalt?
Rasch ging sie ins Haus, geradewegs ins Wohnzimmer und an den Tisch.
Die Kartoffeln waren bereits kalt, das Schnapsglas nicht mehr beschlagen.
Etwas stimmte nicht.
Sie trat ans Fenster und sah sich um, die Bäume, das Meer, die länger werdenden Schatten. Der Ford auf dem Hügel, dahinter ihr Jeep. Die wilden Blumenbeete, auf halbem Wege zur Sauna ein kaputter Gartenstuhl.
Die Saunatür war angelehnt.
Sie beugte sich vor und blinzelte.
Aus dem Schornstein stieg kein Rauch auf, und das kleine Fenster in der Sauna war dunkel, aber die Tür war definitiv angelehnt.
Sie lief hinaus, den nadelbedeckten Pfad hinunter zur Tür. Von hier aus konnte man die Wellen hören, die unten gegen den Steg schlugen.
Das Licht der Dämmerung erhellte einen kleinen Umkleideraum, als sie die Außentür der Sauna öffnete. Ein Stapel Holz war dort aufgeschichtet und einige säuberlich gefaltete Handtücher, alle blau. Ansonsten war der Raum leer.
An der gegenüberliegenden Wand befand sich die Tür zur Sauna.
Sie machte drei Schritte und zog sie auf.
Er hing an der Wand.
Irgendwie wusste sie sofort, dass er an der Wand hing, dass er nicht lehnte, nicht ruhte, sondern hing.
Aus seinem rechten Auge zeigte ein großer Nagelkopf.
Das linke glotzte sie an, rot geädert und hervorquellend.
Im Hals, genau am Kehlkopf, steckte ein weiterer Nagel.
Sie starrte den Mann an, schloss die Augen, schaute noch einmal hin. Dann schloss sie die Tür, ging nach draußen und übergab sich auf einen Ameisenhaufen.
Sie rief Q an.
Das erste Polizeiauto war ein Streifenwagen. Er kam nach nur einer halben Stunde und hielt weiter unten am Hang, noch unterhalb der Sauna. Zwei uniformierte Prachtexemplare stiegen aus und sahen sich um.
Annika hatte sich in ihrem Jeep verbarrikadiert, mit laufendem Motor und eingeschalteter Heizung. Sie fror und bibberte und konnte nicht umhin, andauernd in den Rückspiegel zu schauen, um sicherzugehen, dass sich niemand von hinten anschlich.
Sie war erleichtert, als der Streifenwagen kam.
Einer der Prachtkerle kam den Weg zu ihrem Auto herauf. Als sie keine Anstalten machte auszusteigen, klopfte er schließlich ans Seitenfenster.
Sie ließ die Scheibe zehn Zentimeter hinunter.
»Haben Sie angerufen?«
Sie nickte.
»Und Sie sagen, dass sich der Hausbesitzer in der Sauna befindet. Tot.«
Wieder nickte sie.
Der Polizist seufzte.
»Später kommt noch jemand von der Kripo, um Sie zu vernehmen«, sagte er und ging zurück zum Streifenwagen.
Sie fuhr das Fenster wieder hoch und starrte weiter geradeaus.
Ein Nagel stand aus dem Auge heraus, ungefähr zwei Zentimeter weit.
Das hieß, dass ihn jemand dort eingeschlagen hatte, mit einem Hammer, durch den Kopf des Professors, bis in etwa noch zwei Zentimeter hervorstanden.
Wie lang mochte der Nagel sein? Wie groß war ein Kopf? Neun Zentimeter? Zwölf?
Und was hatte Q am Nachmittag über Lars-Henry Svensson gesagt?
Er hat mit Eric Ericssons Ableben nichts zu tun.
In der Erinnerung echote ihre eigene Stimme:
Und daran ist nicht zu rütteln?
Seine Antwort:
Das ist niet- und nagelfest.
Sie japste.
Jetzt wurde ihr klar, warum sie so sicher waren, dass Ernst Ericsson keinen Selbstmord begangen hatte.
Möglicherweise gelingt es, einen Nagel durch den eigenen Hals zu treiben, aber nicht, wenn man erst einen anderen durchs Gehirn geschlagen hat.
Sie nahm ihr Handy und war im Begriff, Thomas anzurufen. Brachte es nicht fertig. Seine Wut lag spürbar in der Luft, dafür bedurfte es keiner Funkwellen.
Das nehme ich auf mich, wenn ich nach Hause komme, dachte sie. Sonst kriege ich es zweimal ab.
Ungefähr zehn Minuten später fuhren drei Zivilwagen gleichzeitig vor. Im zweiten konnte sie das Hawaiihemd ausmachen.
Sie schaltete den Motor aus, zog sich eine Strickjacke an, die sie auf dem Rücksitz fand, und ging hinaus zu Kriminalhauptkommissar Q. Still wartete sie an seinem Auto, während er zur Sauna hinunterging und feststellte, dass sie nicht
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