Nobels Testament
sammle immer gern neue Erfahrungen und bin sehr dankbar für das Vertrauen, das mir die Leitung entgegenbringt.‹«
Annika las die Notiz zweimal. Meinte die Frau das ironisch, oder war sie so unsagbar klischeehaft? Ein kleines Porträtbild zeigte ihr vollkommen künstliches, verteufeltes Lächeln.
Schmor doch in der Hölle, du Schlampe, dachte Annika.
Sie klickte das Foto weg und hämmerte Stichworte ein, um mehr darüber herauszufinden, mit wie viel Geld sich die akademische Welt drehte.
Ich werde zu wütend, dachte Annika. Ich müsste diese Wut loswerden. Ich will nicht, dass sie weiter mein Leben verpestet. Sophia ist weg und wird uns nie wieder stören.
Es zeigte sich, dass die schwedischen Universitäten und Hochschulen im vergangenen Jahr insgesamt 1,6 Milliarden Kronen für sogenannte Auftragsforschung erhalten hatten. Verteilt auf fünf Jahre, entsprach Medi-Tecs Geld ungefähr einer jährlichen Summe von 150 Millionen. Das war ansehnlich, aber nicht sensationell. Aus dem Archiv ging hervor, dass das Karolinska-Institut von Privatpersonen bereits Spenden in Höhe von 150 Millionen Kronen bekommen hatte.
Dass einzelne Unternehmen Geld bereitstellten, war ebenfalls nicht ungewöhnlich, 43 Prozent aller Gelder für Auftragsforschung stammten von schwedischen und ausländischen Firmen, las sie.
Das hier ist nichts für das
Abendblatt,
stellte sie fest.
»Hast du schon gegessen?«, fragte Berit über die Sprechanlage, und Annika hüpfte vor Freude.
Sie setzten sich in die Redaktionscafeteria und holten sich Kaffee und Käsebrötchen.
»Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Neuen Jihad«, sagte Berit und gab Milch in ihren Plastikbecher. »Vorgestern habe ich aus sicherer Quelle erfahren, dass der deutsche BND schon am Freitag drei junge Männer festgenommen hat. Aber offiziell bestätigt wurde das nicht. Eben habe ich mit der Schwester eines der Jungen gesprochen, sie behauptet steif und fest, dass die Polizei schon am Freitagnachmittag um vier Uhr die Tür eingeschlagen und ihren Bruder weggeschleppt hat.«
Annika rührte in ihrem Kaffee.
»Was ist daran so merkwürdig?«, fragte sie.
»Niemand will etwas von einer Festnahme wissen«, sagte Berit.
»Die Polizei ist völlig ahnungslos und gibt vor, nichts zu wissen. Die Männer sind weder in Stockholm noch in Berlin verhaftet oder aufgegriffen worden. Sie haben sich ganz einfach in Luft aufgelöst.«
»Irgendwo müssen sie ja sein«, sagte Annika und biss in ihr Brötchen. »Und wo liegt der Zusammenhang mit der Sache in Bandhagen, von dem die Polizei gesprochen hat?«
Berit beugte sich vor.
»Da«, sagte sie, »berührst du einen sehr wunden Punkt. Der Vater ist auch verschwunden, genau wie die Jungs in Berlin. Die Mutter und die Mädchen sind freigelassen worden, aber der Mann wurde nicht mehr gesehen, seit sie ihn aus der Wohnung gezerrt haben.«
»Hast du mit seiner Frau gesprochen?«
Berit kaute und schüttelte den Kopf.
»Sie sind irgendwohin gefahren, aber ich habe den Klassenlehrer der Jüngsten erwischt, und der war richtig mitteilsam. Das Mädchen geht in die Sechste und ist Kapitän der Basketballmannschaft. Die große Schwester ist im zweiten oder dritten Jahr auf einem naturwissenschaftlichen Gymnasium hier in der Stadt, sie ist offensichtlich hochbegabt.«
»Woher stammen sie?«
»Jordanien, meinte der Klassenlehrer, oder möglicherweise Syrien. Sie sind hergekommen, als die Älteste noch klein war, die Basketballerin ist hier geboren. Ihre Mutter hat eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, aber aus irgendeinem Grund hat der Vater das nicht. Die Familie wohnt seit dreizehn Jahren in dieser Zweizimmerwohnung in Bandhagen, und die Eltern betreiben einen Schuh- und Schlüsseldienst in der U-Bahn.«
»Hört sich ja wirklich lebensgefährlich an«, sagte Annika.
»Nicht wahr?«, sagte Berit. »Ich habe ihnen einen Brief in den Kasten geworfen und auf sämtlichen Anrufbeantwortern eine Nachricht hinterlassen. Mal sehen, ob sie sich melden.«
Einen Augenblick saßen sie schweigend da und kauten lustlos an ihren Brötchen. Annika empfand das Schweigen als bedrückend, doch vielleicht war das nur Einbildung. War Berit immer noch verunsichert, weil Annika möglicherweise über Informationen verfügte, die sonst niemand kannte?
»Über die Mordermittlung an sich habe ich keinen Piep mehr gehört«, sagte sie deshalb. »Hast du eine Ahnung, wie es damit aussieht? Wissen sie inzwischen, wie die Frau sich bei dem Fest eingeschlichen
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