Nobels Testament
musste keinen Gebrauch davon machen. Die Polizisten, die Wache hatten, erinnern sich an sie, sie stand in der Hantverkargatan, rauchte und tippte auf ihrem Handy, unmittelbar vor dem Eingang zum Bürgerpark. Als sie fertig getippt hatte, beeilte sie sich hineinzukommen, das Telefon in der Hand und ihr kleines Abendtäschchen über der Schulter. Sie sahen, wie sie fror, und dachten, sie wäre rausgegangen, um zu telefonieren und zu rauchen, und wollte nun schnell wieder rein.«
»Und sie haben sie nicht aufgehalten.«
»Einer der Männer hat sie gestützt, als sie auf dem Eis ausrutschte. Sie hat
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gemurmelt, ohne ihn anzusehen. Sie hatte eiskalte Hände.«
»Wieso sind sie so sicher, dass es die Mörderin war?«
»Die Männer haben das Phantombild wiedererkannt.«
»Konnten sie sich an ihre Kleidung erinnern?«
»Alle Wachen haben deutliche Erinnerungen an sie. Leider sind die sehr abweichend. Einer sagt, sie habe ein rotes Kleid getragen, ein anderer, es sei grau oder beige gewesen. Manche sagen, sie habe eine Stola gehabt, andere sagen, ihre Schultern seien unbedeckt gewesen. Wir glauben, dass sie mit zwei Frauen einer Gruppe verwechselt wird, die den Bürgerpark verließ, als sie kam.«
»Das Kleid hatte Träger«, sagte Annika, »hundertprozentig. Sie sagten, dass sie rauchte. Hat sie die Kippe weggeworfen?«
»Ausgetreten in einer Pfütze gefrorener Hundepisse. Die nächste Beobachtung ist nicht ganz so verlässlich. Sie wurde im Säulengang zwischen Foyer und Blauer Halle gemacht. Ein Mann, der sowohl seine als auch die Weinration seines Tischnachbarn intus hatte, hielt sie fest und forderte sie zum Tanzen auf. Sie hat den Blick gesenkt und versucht, ohne zu antworten, an ihm vorbeizukommen. Er ist beharrlich geblieben und hat nach ihrem Arm gegriffen. Sie schlug ihm vor die Brust und schlüpfte vorbei. Der Mann wurde wütend und wollte sie einholen, aber sie war schon in der Menge verschwunden. Er hat sich ebenfalls gemeldet, als er das Phantombild sah.«
»Ist es nicht möglich, dass er sich nur wichtig machen wollte?«
»Schon, aber die Frau muss sich zu diesem Zeitpunkt genau dort befunden haben, deshalb gehen wir davon aus, dass er die Wahrheit sagt. Der nächste sichere Hinweis ist Ihrer. Wir wissen also nicht genau, durch welche Tür sie den Goldenen Saal betreten hat, wir wissen nicht, wie schnell sie ihre Opfer ausgemacht hat, wir wissen nicht, warum sie schoss.«
»Aber Sie wissen, was für eine Waffe sie hatte?«
»Wahrscheinlich eine Walther 7,65, eine ziemlich gewöhnliche belgische Waffe. Niemand hat gesehen, dass sie eine Pistole aus ihrer Tasche genommen hat, ganz sicher sind wir deshalb nicht. Wollen Sie noch Kaffee?«
Annika versuchte das Bild heraufzubeschwören, den Ellenbogen gehoben und die Hand in der Tasche.
»Sie hat die Pistole gar nicht rausgeholt?«, fragte Annika. »Hat sie durch die Tasche geschossen?«
»Sieht so aus. Die Munition war jedenfalls aus Israel, Teilmantelgeschoss mit Soft-Point. Also, ich trinke noch einen.«
Q nahm die Füße vom Tisch und stand auf.
»Dumdumgeschosse?«, sagte Annika. »Sind die nicht verboten?«
»Kaum«, sagte Q. »Heutzutage werden sie sogar von der schwedischen Polizei verwendet. Die Polizeigewerkschaft hat es für effektiver befunden, wenn mit sehr tödlicher Munition geschossen wird. Die Walther 7,65 war früher sogar unsere Dienstwaffe, aber die meisten waren zu schlechte Schützen, um sie richtig einzusetzen. Jetzt haben wir Neunmillimeterwaffen, die haben eine viel bessere Durchschlagskraft und zerfetzen die Leute, auch wenn man danebenschießt.«
»Obwohl die Mörderin nicht danebengeschossen hat«, sagte Annika, um das Gespräch wieder in die richtige Richtung zu lenken.
»Kann man nicht behaupten«, sagte Q. »Sie hat das Herz durchschossen und die Aorta gekappt. Sie können in der Zwischenzeit die Torte anschneiden.«
Er verschwand wieder hinaus auf den Flur und überließ Annika ihrer Verwunderung. Wie passte Caroline von Behring ins Bild? Was hatte die Mörderin mit Aaron Wiesel zu tun?
Ruhelos stand sie auf und trat ans Fenster. Eine Gruppe Kindergartenkinder in Schneeanzügen und Zipfelmützen ging auf der gegenüberliegenden Seite der Kungsholmsgatan vorüber. Sie marschierten in Zweierreihen und hielten einander an den Händen. Die Betreuer gingen vorn und hinten, sie lachten und trieben sie zur Eile an. Der farbenfrohe Zug schaukelte langsam hinauf zum Kronobergspark. Die schwingenden Arme der Kinder
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