Nobels Testament
Hawaiihemden bei schmissigen Gassenhauern schlugen sich an seinem Arbeitsplatz nicht nieder.
Es waren fast zehn Jahre vergangen, seit sie Q zum ersten Mal begegnet war. Damals hatte er die Ermittlung im Mordfall der Striptänzerin Josefin Liljeberg geleitet. Ein junges Mädchen, das den Traum gehabt hatte, Journalistin zu werden, war stranguliert hinter einem Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof im Kronobergspark gefunden worden. Über die Jahre hatten sie und Q zahlreiche Informationen ausgetauscht, oft zu beider Vorteil, aber nicht immer. Es war vorgekommen, dass er ihr die Freundschaft kündigte, aber sie wurde doch immer wiederbelebt. Annika machte sich keine Illusionen über seine Beweggründe.
Q brauchte ein zuverlässiges Sprachrohr bei den Medien. Er wusste, dass ihre Artikel fast immer so gedruckt wurden, wie sie es gern wollte. Was für ihn bedeutete, dass er die für seine Ermittlung wichtigen Hinweise einigermaßen verlässlich unterbringen konnte.
»Hier arbeiten keine faulen Polizisten«, sagte er, und als er einen Becher vor ihr auf den Tisch stellte, schwappte der Kaffee über.
»Nicht in diesem Büro«, sagte Annika. »Wohl aber in einigen anderen.«
Kommissar Q seufzte tief, ließ sich auf den Stuhl fallen und legte die Füße auf den Schreibtisch.
»
Yes
«
,
sagte er. »Das ist vollkommen korrekt. Die Verbrechen werden nur von einem Drittel aller Beamten aufgeklärt. Die restlichen tun im Großen und Ganzen nichts. Es ist ziemlich problematisch, dass die jungen Absolventen der Polizeihochschule inzwischen viel schlauer sind als ihre Chefs.«
Annika blies auf ihren Kaffee, er war heiß und stark wie Teer.
»Wie meinen Sie das?«, sagte sie.
»In der guten alten Zeit war es so schwierig, alle Ausbildungsplätze zu besetzen, dass so gut wie jeder angenommen wurde. Heute wird nur einer von zehn angenommen, die Elite wird Polizist. Deshalb variiert der Standard innerhalb der Polizei so extrem. Die Jungen sind begabt und motiviert, die Alten sind träge und beschränkt.«
»Und das löst man, indem alle Polizeireviere auf dem Land und in den Vorstädten geschlossen werden?«, sagte Annika.
»Wissen Sie«, sagte Q, »das Problem ist nicht, dass überall in Schweden die Reviere stillgelegt und geschlossen werden. Das Problem sind die, die noch offen haben.«
»Wahrhaftig«, sagte Annika.
»Sie haben alle zwei Wochen dienstags zwischen zehn und zwölf geöffnet, während der verbleibenden Zeit sitzt die gesamte Mannschaft da und löst bestenfalls Kreuzworträtsel. Natürlich wäre es angemessen, die Reviere zu schließen, die Faulpelze rauszuwerfen und sie durch neue Talente zu ersetzen.«
»Und dann hättet ihr beispielsweise den Mord auf der Nobelpreis-Gala längst aufgeklärt?«
»Wir sind raffiniert und stark«, sagte Q.
»Ja, genau«, sagte Annika. »Der Neue Jihad und eine Familie mit Kindern in Bandhagen.«
»Hatten nichts mit dem Nobelmord zu tun«, sagte Q. »Wir haben eine ungefähre Vorstellung von den Ereignissen.«
Annika öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
»Ernsthaft?«
»Wir wissen, dass die Mörderin um 22.41 Uhr durch den Haupteingang hereinkam. Das Essen war beendet, man hatte begonnen zu tanzen, die ersten Gäste hatten das Fest bereits verlassen und waren auf dem Weg durch den Bürgerpark, um nach Hause zu fahren.«
»Es herrschte viel Bewegung«, sagte Annika. »Das Servicepersonal deckte die Tische ab, Leute irrten herum auf dem Weg zur Bar oder zur Musik im Goldenen Saal … Wie ist sie hineingekommen? Hatte sie eine Einladung?«
»Wir glauben, dass sie das
Abendblatt
gelesen hat«, sagte Q. »Ihr habt ja beschrieben, wie man es am besten macht.«
Annika begriff nicht, was er meinte.
»Wovon sprechen Sie?«
»›So kommt man zur Nobelpreis-Gala‹. Es ist schon ein paar Jahre her, muss aber eigentlich schon zu Ihrer Zeit gewesen sein. Eine Ihrer Kolleginnen hat sich damals ein Abendkleid und hohe Absätze angezogen und ist gegen halb elf zwischen den Türstehern hindurchgetrippelt und hat ›Hui, ist das kalt‹ gepiepst. Sie hatte nicht mal die Idee einer Einladung, ist aber bis zum Königspaar vorgelassen worden, ehe jemand sie aufhielt. Ich glaube, es gab ein Foto, auf dem zu sehen war, wie sie mit dem Staatspräsidenten tanzte.«
Annika versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht.
»Ach,
die
Nobelpreis-Gala.«
»Die Mörderin ist ganz ähnlich vorgegangen. Wir glauben, dass sie für den Notfall eine gefälschte Einladung hatte, aber sie
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