Nobels Testament
Eckgrundstück lag so strahlend in der Morgensonne, ihr schönes Haus, ihr eigenes Haus.
Sie hielt auf der Straße, nur um die Gelegenheit zu haben, es einmal aus der Distanz zu sehen, so wie die anderen Leute auch. In diesem Viertel fiel es nicht besonders auf, aber es war edel und stilecht. Das Grundstück hatte früher der Stadt gehört, doch die Gemeinde hatte in einem Anfall von Budgetsanierung beschlossen, es zu verkaufen. Rund um das Haus gab es keine ausgewachsenen Bäume, das war ein bisschen schade, aber die Vorbesitzer hatten Obstbäume und Eichen gepflanzt. In einigen Jahren würde es hier herrlich sein.
Links vom Haus lag ein kleiner Steingarten. Außer in den frühen Morgenstunden lag er im Schatten, und Annika hatte sich vorgenommen, ein paar Pflanzen zu besorgen, die sich dort wohlfühlen konnten. Ansonsten hatte das Grundstück keine größeren Naturerlebnisse zu bieten. Vor dem Haus war ein kleines Blumenbeet angelegt, das nicht viel hergab. Das wahre Sorgenkind jedoch war der Rasen. Er war ganz und gar von Reifenspuren zerfurcht. Dass die Nachbarn absichtlich über den Besitz gefahren waren, als niemand dort wohnte, machte Annika rasend vor Wut. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das wieder hinbekommen sollte. Eine LKW-Ladung mit Mutterboden? Rasen von der Rolle? Das Ganze einfach asphaltieren?
Sie stellte den Motor ab und stieg aus ihrem Wagen. Als das Geld kam, hatten sie sich neue Autos gekauft. Annika musste sich eingestehen, dass sie ziemlich verliebt in ihres war.
»Guten Morgen!«
Annika fuhr herum. Eine Frau kam die Straße entlanggejoggt. Sie wurde von einem Hund begleitet, der ohne Leine neben ihr herlief. Die Frau verlangsamte ihr Tempo und blieb vor ihr stehen. Sie trug ein Stirnband und einen Kapuzenpulli und schwitzte ziemlich.
»Seid ihr inzwischen eingezogen?«, fragte sie und lächelte breit.
Annika erkannte sie wieder, das war doch die Frau aus dem Haus schräg gegenüber, der sie damals im Winter begegnet war.
»Ja, endlich«, antwortete Annika und erwiderte das Lächeln. Sie dachte an den Vorsatz, freundlich zu den Nachbarn zu sein.
»Willkommen im Viertel. Wie gefällt es euch?«
Annika lachte verlegen.
»Wir wissen es noch nicht genau, wir haben noch nicht einmal alles ausgepackt …«
»Das kenne ich«, sagte die Frau. »Ich bin vor fünf Jahren umgezogen und finde doch immer wieder unausgepackte Umzugskartons. Warum hebt man so viele überflüssige Dinge auf? Wenn ich sie fünf Jahre lang nicht vermisst habe, warum habe ich sie dann überhaupt gekauft?«
Annika musste lachen.
»Das stimmt«, sagte sie und durchforschte ihr Gedächtnis. Wie hieß diese Frau? Eva? Emma?
»Kommst du auf eine Tasse Tee rüber?«, fragte die Frau ungezwungen. »Oder Kaffee? Ich wohne gleich …«
»Ich weiß«, sagte Annika, »ich erinnere mich. Eine Tasse Kaffee wäre nett.«
Ebba, das war es. Ebba Romanova. Sie musste auf jeden Fall ausländische Angehörige haben. Und der Hund hatte einen italienischen Namen.
Annika beugte sich hinunter und streichelte ihn.
»Francesco, oder wie war das?«
Ebba Romanova nickte und kraulte den Hund hinter den Ohren.
»Ich gehe schnell duschen, gib mir eine Viertelstunde.«
Sie joggte den Vinterviksvägen entlang, blieb an ihrer Gartenpforte stehen, öffnete sie und wurde von der Vegetation verschluckt.
Annika blieb auf der Straße zurück und schaute sich um. Im Winter hatte man Teile der meisten Nachbarhäuser sehen können, nun wurden jedoch alle von Hecken und Laub verdeckt. Sie konnte den Pavillon, die dunkle Fassade und die Veranda von Ebbas Haus nur erahnen.
Was in aller Welt soll ich bloß mit dem Rasen machen?, fragte sie sich, als ihr Blick wieder bei ihrem eigenen Grundstück angekommen war.
»Was soll das denn werden?!«
Die wütende Stimme ließ sie zusammenfahren.
Ein großer Kerl mit Kugelbauch und Käppi stand hinter ihr; die Hände in die Seiten gestemmt, starrte er sie überheblich und feindselig an.
»Was?«, sagte Annika erschreckt. »Was habe ich denn gemacht?«
»Sie behindern den Verkehr! Man kann hier nicht vorbei, wenn Sie Ihr Ungetüm mitten auf der Straße abstellen.«
Annika schaute verblüfft zu ihrem Auto hinüber, das weit am rechten Straßenrand stand, und ließ den Blick dann die leere Fahrbahn hinauf- und hinunterwandern.
»Aber hier ist ja gar kein Halteverbot«, sagte sie, »und erst recht kein Parkverbot.«
Der Mann kam einige Schritte auf sie zu, sein beeindruckender Bauch zwang ihn, leicht
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