Nobels Testament
»Die wussten nicht mal, was ein Justizombudsmann ist.«
Schyman vermied, den Aufsichtsratsvorsitzenden anzusehen, und wünschte Spiken dorthin, wo der Pfeffer wächst.
»Regeln Sie das«, sagte er und wandte sich an Herman Wennergren. »Da drüben war früher die Unterhaltungsredaktion«, sagte er und machte eine Armbewegung. »Dort befinden sich jetzt die Analyse und die Annoncenabteilung. Die Buchhaltung sieht man von hier aus nicht, wir haben sie nach links in die Ecke verlegt. Den Pausenraum haben wir in ein Fernsehstudio umgewandelt und das Materiallager in einen Regieraum. Tatsächlich ist es uns gelungen, die gesamten Sendemedien auf einem Raum unterzubringen, der zuvor nahezu ungenutzt war.«
Herman Wennergren sah seinen Chefredakteur ein wenig angestrengt an.
»Ehrlich gesagt, interessieren mich die räumlichen Gegebenheiten nicht besonders. Warum gibt es keinen Redakteur, der das Problem mit dem Bericht des Justizombudsmannes lösen kann?«
Anders Schyman verspürte das Bedürfnis, sich zu räuspern, unterdrückte jedoch den Reflex.
»Wenn ich Sie bemühen dürfte …«
Er hob den Arm und wies den Weg zur neu gebauten Cafeteria, einem kleinen Raum neben dem Aufzug, mit Kaffee- und Sandwichautomat. In der einen Ecke saßen einige Mitarbeiter und telefonierten, Schyman holte für sich und Wennergren Kaffee und stellte ihn auf einem wackeligen Tischchen ab. Er zog wieder seine Mappe hervor und blätterte durch die Papiere.
»Im Moment stehe ich mit verschiedenen kommerziellen Radiosendern wegen Radionachrichten und eventuell ein paar Talkshows in Verhandlung. Das Web ist inzwischen so angelegt, dass alles, was über den Sender geht, auch ins Netz gestellt wird. Hier liegt das große Potenzial dieser Ausweitung: Fernsehen über Breitband.«
Herman Wennergren nahm seine Brille ab.
»Aber es gibt keinen Redakteur, der kompetent genug ist, den Justizombudsmann anzurufen?«
»Das digitale Fernsehnetz wird ins Internet integriert«, fuhr Anders Schyman fort und tat so, als hätte er Wennergrens Einwand nicht gehört. »Es ist nur eine Frage der Zeit, dann wird es für alle Akteure auf dem Markt ein Thema. Wie wird die Regierung mit der Freiheit umgehen, die das mit sich bringt? Welche Konsequenzen hat es für die nationale Aufsichtsbehörde? Für die Werbesteuer? Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Aber es ist immer noch der Ansatz, der unser Konzept einzigartig macht: der ungenutzte Medienraum, will sagen, Boulevardnachrichten im Fernsehen.«
Der Aufsichtsratsvorsitzende setzte seine Brille wieder auf und dachte einige Sekunden nach.
»Ganz konkret«, sagte er, »wovon sprechen wir hier? Live-Übertragungen von solchen amerikanischen Autojagden?«
»Natürlich«, bestätigte Schyman. »Persönliche Interviews, heimlich gefilmte Staatsoberhäupter, Skandale und Unfälle. Naturkatastrophen und Brände, Kinder, die weinen, in jeder Sendung, Politiker, die sich verstecken, und untreue Promis. Enthüllungsreportagen hinter den Kulissen großer Galas und Schlagerparaden, solche Sachen eben. Aber ich bin nach wie vor der Ansicht, dass die persönliche Ansprache das Besondere an unserem Vorhaben ist. Menschen, die den Mund aufmachen und uns mitteilen, wie sie persönlich große und kleine Ereignisse erlebt haben.«
»Ja, ja«, sagte Wennergren und seufzte. »Ich höre jetzt schon die Einwände der Inhaberfamilie. Noch mehr Skandaljournalismus ist nicht gerade das, wonach sie sich im Moment sehnen.«
»Nein«, sagte Anders Schyman. »Sie sehnen sich nach mindestens hundert Millionen, die ein Fiasko wiedergutmachen, das
Fina Morgontidningen
heißt.«
»Ach«, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende, »in dieser Sache haben Sie sich ja auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Vielleicht erinnern Sie sich, dass Sie in diesem Jahr nicht ganz oben auf der Beliebtheitsliste der Inhaberfamilie stehen?«
»Es ist schon besser geworden«, entgegnete Schyman kurz und wünschte, dass man ihm seine Verbitterung nicht zu sehr ansah.
Herman Wennergren nahm wieder seine Brille ab und beugte sich vor. Schyman konnte deutlich die Poren auf seiner Nase erkennen.
»Ich verstehe Ihr Kopfzerbrechen«, zischte er, »aber diese Person hat über TV Scandinavia geschrieben. Ich habe der Familie erklärt, dass Sie kaum eine Wahl hatten. Hätten Sie den Artikel abgelehnt, wäre sie woanders hingegangen. So konnten wir die Veröffentlichung wenigstens steuern und Oberwasser behalten.«
Er lehnte sich zurück.
»Wo ist sie denn
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