Noble House 02 - Gai-Jin
Die seltsamen Augen verengten sich. »Abend, André. Wie geht’s?«
»Gut, danke. Wir sehen uns später.«
Jamie wartete, bis André angeklopft und das Büro des Tai-Pan betreten hatte, das jetzt MacStruans Büro war. »Werden Sie hingehen?«
»O ja.« MacStruan kam die letzte Stufe herunter, aber die Elastizität war aus seinem Gang verschwunden. »Würden Sie bitte mitkommen?«
»Danke, aber das ist jetzt Ihr Privileg. Ich habe Vargas nach dem Bootsführer geschickt, die Barkasse wird in fünf Minuten bereit sein.«
Freundlich sagte MacStruan: »Kommen Sie mit mir an Bord, begrüßen Sie das Schiff, wie Sie es früher getan haben und noch immer tun sollten.«
»Nein, ich muß weitermachen, das alles ist jetzt Ihre Sache.«
»Wie ich hörte, soll Sergejews Bankett heute abend großartig werden, weil Angélique die Einladung angenommen hat. Überlegen Sie sich’s noch mal, kommen Sie mit.«
»Ich kann nicht, nicht heute abend, ich bin noch immer nicht mit dem Packen fertig.« Jamie wies den Korridor entlang. »Hat Angélique mit Ihnen vereinbart, daß sie Ihr Büro benutzen darf?«
»O ja, ich bin froh, ihr diesen Gefallen tun zu können. Das ist viel besser, als Besucher oben in ihrer Suite zu haben, besonders ihn. Kann nicht sagen, daß ich ihn mag.«
»André ist in Ordnung. Ich hoffe, die Prancing Cloud bringt gute Neuigkeiten.«
»Ich auch. Aber ich zweifle daran. Glauben Sie, daß Tess an Bord ist?«
»Der Gedanke ist mir auch gekommen«, sagte Jamie grinsend, da er nicht mehr ihr Diener war. »Das würde den veränderten Fahrplan der Cloud erklären. Dirk hätte es so gemacht.«
»Sie ist nicht Dirk, sie ist viel gerissener – um so schlimmer, mein Lieber.« Die Stiefbrüder MacStruan und Tess Struan konnten sich nicht ausstehen, aber ein Zusatz in Dirks Testament hatte festgelegt, daß die beiden Jungen, falls sie sich in Schule und Studium bewiesen, nach ihren besten Fähigkeiten im Noble House eingesetzt werden sollten. Beide waren intelligent, hatten dank Eton und Oxford hervorragende Beziehungen in der Gentry, der City und dem Parlament. Dennoch wußten beide, daß Tess Struan sie sofort entlassen würde, wenn Dirks Testament nicht wäre. »Hoffe, sie kommt nicht zu Besuch – höchst unangenehmer Gedanke.«
McFay lachte. »Dann machen wir einfach die Schotten dicht.«
»Hallo, André.«
»Abend, Angélique.«
Sie saß in ihrem Lieblingssessel nahe dem Erkerfenster, die Vorhänge zum Hafen hin geöffnet. »Die Prancing Cloud?«
»Ja.«
»Gut. Ist sie an Bord?«
André lächelte schief. »Das würde die unerwartete Ankunft erklären.«
»Es spielt so oder so keine Rolle«, sagte sie gleichmütig, aber ihr Magen verkrampfte sich. »Möchten Sie einen Drink?«
»Danke.« Er sah die geöffnete Champagnerflasche in ihrem Eiskübel und ein halbvolles Glas auf dem Tisch. »Darf ich?«
»Bitte.«
Sie hatte sich angewöhnt, den Sonnenuntergang und die einbrechende Nacht bei einem Glas Champagner zu betrachten. Nur ein Glas, um sich auf den langen Abend und dann die lange Nacht vorzubereiten. Ihre Schlafgewohnheiten hatten sich verändert. Früher war sie in Morpheus’ Arme gesunken, kaum daß sie den Kopf auf das Kissen gelegt hatte, jetzt mied der Schlaf sie. Zuerst war sie erschrocken gewesen, aber Babcott hatte sie davon überzeugt, daß Angst die Schlaflosigkeit nur verschlimmerte. »Wir brauchen keine acht oder zehn Stunden Schlaf, also machen Sie sich keine Sorgen. Nutzen Sie die Zeit gewinnbringend. Schreiben Sie Briefe oder ein Tagebuch und machen Sie sich keine Sorgen…«
Liebste Colette, hatte sie gestern geschrieben, ich muß PLANEN, es ist so wichtig, weil diese Frau meinen Sturz im Sinn hat.
So Gott will, werde ich bald in Paris sein und Dir alles berichten können. Manchmal ist es fast, als wäre mein Leben hier ein Theaterstück und Malcolm, der arme Mann, hätte nie existiert. Aber ich genieße die Ruhe und bin zufrieden. Nur noch ein paar Tage, SECHS, dann werde ich Bescheid wissen, ob es ein Kind geben wird oder nicht. Ich hoffe und hoffe und hoffe und bete und bete und bete, daß ich dieses Kind trage – und daß auch Deine Entbindung glatt verlaufen und Dir einen weiteren Jungen schenken wird.
Ich muß klug sein. Hier kann ich mich nur auf mich selbst verlassen. Jamie ist ein guter Freund, aber er kann mir nicht viel helfen – er ist nicht mehr beim Noble House, und dieser Neuankömmling, Albert MacStruan, ist nett, ein perfekter Gentleman, hochgeborener Brite
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