Noble House 02 - Gai-Jin
Gott. Um sich vor ihm zu verstecken, sah sie sich um, während sie Mantel und Handschuhe ablegte. Ihr Kleid war gut geschnitten und betonte ihre Kurven und ihre Wespentaille. »Dein Mr. MacStruan sagt, du könntest deine Suite benutzen, und ich könnte die Räume daneben haben, bis wir eine eigene Wohnung haben. Hast du deine Zimmer schon geräumt, Jamie?«
»Nein, noch nicht.« Er war verwirrt, wußte nicht, wie er anfangen sollte, aber er mußte es tun. Bald. »Diese… alle meine Papiere und Bücher kamen als erstes an die Reihe, oben wollte ich morgen anfangen. Alles, die Möbel hier und oben, gehört Struan’s.«
»Macht nichts. Wir können uns selbst welche kaufen.« Sie setzte sich auf den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch und sah ihn an. Hände im Schoß. Wartend.
Sie wußte genau, daß sie sich jetzt auf die Zunge beißen und daraufwarten mußte, bis er begann. Sie hatte ihren Teil getan, indem sie gekommen war. Vielleicht hatte sie zuviel getan, sie war unangemeldet gekommen, aber sie hatte sorgfältig darüber nachgedacht, sich dieses Zusammentreffen in den elenden Monaten auf See immer wieder vorgestellt, Jamie war ihr Leitstern, und jetzt war die Zeit der Abrechnung gekommen.
»Er taugt nichts, dieser Jamie McFay«, hatte ihre Mutter zu ihr gesagt, als sie ihren Entschluß verkündete. »Ich hab es wieder und wieder gesagt, und er wird dir nicht guttun, Mädchen. Seine Briefe sind alles andere als ermutigend, im Gegenteil.«
»Ich werde gehen, liebste Ma. Ob Dad mir wohl das Geld leihen wird?«
»Aye, wenn du ihn fragst.«
»Ich werde gehen. Ich muß. Ich bin siebenundzwanzig. Ich habe so lange gewartet und würde noch einmal drei Jahre warten, wenn es nötig wäre, aber… jetzt oder nie. Ich habe mich entschieden. Verstehst du, Ma?«
»Aye, ich verstehe. Zumindest wirst du bei ihm sein, du wirst bei deinem Mann sein, falls du heiratest, nicht wie ich.«
Sie hatte die Tränen gesehen und Ratschläge gehört, die ihr nie zuvor gegeben worden waren, Geheimnisse, von denen nie zuvor geflüstert worden war, und dann hatte ihre Mutter gesagt: »Gott segne dich, Mädchen, geh mit Gott, Mädchen. Sagen wir’s deinem Vater.« Er war ein pensionierter Major der Indian Army, war nur alle zwei oder drei Jahre auf Heimaturlaub gewesen, bevor eine alte Wunde ihn in den vorzeitigen Ruhestand zwang, den er verabscheute.
»Aye, Mädchen, geh mit meinem Segen, unter zwei Bedingungen«, hatte er gesagt. »Wenn er dich verschmäht, sag ihm, daß ich ihn finden und umbringen werde; zweitens, wenn er dich jemals vergewaltigt oder verletzt, dann schneide ihm die Eier ab.«
Nun legte Jamie mehr Kohlen ins Feuer und zog seinen Stuhl näher heran, bevor er sich setzte. Er nahm ihre Hand und sagte sanft: »Maureen, vor drei Monaten habe ich dir geschrieben.«
»Du hast viele Briefe geschrieben«, sagte sie leichthin, um Zeit zu gewinnen.
»In all meinen Briefen habe ich vergangenes Jahr versucht, dir so gut wie möglich klarzumachen, daß dies kein Ort für eine Dame ist, es ist nicht Indien, wo es ein Regimentsleben gibt, und…«
»Ich war nie in Indien, wie du weißt, Jamie, meine Ma war nur einmal dort und dann nie wieder.« Sie hielt seine Hand mit beiden Händen fest. »Brauchst keine Angst zu haben, hier kann es nett sein, keine Angst. Das ist die Aufgabe einer Frau. Ich kann es nett machen.«
Die Enge in seiner Kehle erstickte ihn. Du darfst dich da nicht hineintreiben lassen, schrie eine innere Stimme ihm zu, tu es, oder du wirst es nie mehr tun, tu es jetzt! Natürlich ist es nicht fair, aber du warst überhaupt nicht fair zu ihr, jahrelang nicht fair, du hast sie all diese Jahre ausgenutzt, mein Gott, du warst drei Jahre verlobt und kanntest sie vorher bereits zwei Jahre, du bist mies… gib es zu und sag es schnell. Jetzt!
»Vor drei Monaten habe ich dir geschrieben – der Brief muß nach deiner Abreise angekommen sein –, daß ich es für klüger halte, unsere Verlobung zu lösen, und daß du mich vergessen sollst und daß es mir schrecklich leid tut, aber für dich am besten ist, und daß ich nicht nach Hause gehen und dort leben und arbeiten werde, ich werde Asien nicht verlassen, ehe ich nicht muß, nur falls ich krank werde oder… ich werde nicht gehen, ich kann nicht, ich liebe Asien, liebe meine Arbeit, und für dich gibt es keine Hoffnung auf eine glückliche Zeit, ich bin es nicht wert, und ich gestehe, daß ich dich ausgenutzt habe, aber wir können nicht heiraten, das ist nicht
Weitere Kostenlose Bücher