Noch ein Kuss
Nachmittag war verschwunden.
Offensichtlich war er mit seiner Vergangenheit nicht so im Reinen, wie er ihr weismachen wollte. Das konnte sie sehr gut nachvollziehen. »Also deshalb haltet ihr zwei so engen Kontakt, selbst wenn ihr auf verschiedenen Kontinenten seid«, sagte Carly.
»Jep. Wir sind unterschiedliche Wege gegangen, stehen uns aber trotzdem sehr nahe.«
»Sieht so aus, als hätten die Novack-Brüder sich ganz gut entwickelt.«
Mike zuckte die Achseln. »Der eine Bruder bleibt nie lange am selben Ort, und der andere geht immer den einfachsten Weg. Ich bin nicht sicher, ob ich das gut nennen würde.«
»Jura zu studieren bedeutet nicht, dass man den einfachsten Weg geht«, gab Carly zu bedenken. Und zu allen Krisenherden der Welt zu eilen auch nicht.
»Nein, aber Pete war der Ansicht, dass ein erfolgreiches Jurastudium sich in Geld auszahlen würde. Noch etwas, an dem es uns in unserer Jugend gemangelt hat.«
Die plötzliche Einsicht in die Gedankenwelt ihres Verlobten erstaunte Carly … nicht nur, weil sie fälschlicherweise gedacht hatte, sie verstehe Peter, sondern weil ihre Informationen von Mike stammten, und nicht von dem Mann, den sie heiraten wollte.
Mike musterte sie mit einem ernsten Gesichtsausdruck, der seine hübschen Züge verdüsterte. »Pete ist bereit, verdammt viel zu opfern, um seine Ziele zu erreichen.«
Carly dachte darüber nach. »Das Leben ist voller Opfer.«
»Möchtest du eins davon sein?« Mit einer Handbewegung wischte Mike seine Worte eilig beiseite. »Was ich sagen wollte, ist, dass Opfer in Ordnung sind, solange man nichts wirklich Wichtiges dafür aufgibt.«
Auch wenn Carly das gern gewusst hätte, hatte sie zu viel Angst vor seiner Antwort. Also blieb die Frage ungestellt – und unbeantwortet.
»He, hast du Lust auf eine letzte Runde, ehe wir nach Hause fahren?« Als Mike auf das große Riesenrad deutete, verflüchtigen sich alle anderen Gedanken.
»Na klar!« Carly drehte sich auf dem Absatz um und lief auf das Karussell zu. Die Tatsache, dass sie auch vor sich selbst davonlief, war ihr jedoch nicht entgangen.
Mike folgte ihr in einigem Abstand und bewunderte ihren sinnlichen Hüftschwung beim Sprint. Bis zu diesem Tag, an dem sie abgeschnittene kurze Jeans trug, war ihm nicht aufgefallen, wie unendlich lang ihre Beine waren. Lang genug für eine ganze Reihe sehr schöner Dinge, die ihm spontan einfielen, ehe er seinen Gedanken Einhalt gebot, damit er sich nicht in aller Öffentlichkeit blamierte.
Am Eingang zum Riesenrad blieb Carly stehen und drehte sich um. »He, kommst du oder soll ich allein in diesem Ding fahren?«
Mike grinste und holte sie ein. Den ganzen Nachmittag über war ihre Begeisterung so ansteckend gewesen, dass er froh darüber war, kurz an Petes Appartement vorbeigefahren zu sein, um seine Kamera zu holen. Obwohl er bislang keine Lust gehabt hatte, das verdammte Ding auch nur anzusehen, bot ein sonniger Nachmittag mit Carly eine Gelegenheit, die er nicht versäumen durfte. Er hatte diesen Tag mehr genossen als jeden anderen in jüngster Vergangenheit. Und eins war sicher … die Fotos, die er davon gemacht hatte, würden für ein ganzes Leben reichen müssen.
Allerdings hatte der Tag auch einiges enthüllt. Was er bisher nur vermutet hatte, hatte sich nun bestätigt: Carly und Peter passten tatsächlich nicht zueinander. Und auch wenn er nicht das Recht hatte, über die beiden zu richten oder sich zwischen sie zu stellen, ging ihm die Vorstellung, dass die beiden als Ehepaar endeten und sich gegenseitig unglücklich machten, an die Nieren. Genauso wie die ständigen Gewissensbisse. Genau genommen hatte er nichts Verbotenes getan, trotzdem konnte er das ungute Gefühl, seinen Bruder hintergangen zu haben, nicht mehr loswerden.
Mike trat einen Schritt zurück, um Carly zuerst in die Gondel steigen zu lassen. Dann reichte er dem Kontrolleur die Fahrkarten und ein Trinkgeld und deutete auf die höchste Stelle des Riesenrads. Der Teenager, der offensichtlich an solche Bitten gewöhnt war, klopfte ihm augenzwinkernd auf den Rücken.
Nachdem Mike sich neben Carly gesetzt hatte, knuffte er sie in die Rippen. »Setz deine Beute ab. Wir sammeln die lieben Tierchen wieder ein, wenn die Fahrt vorüber ist.«
»Muss ich?« Sie schmollte wie ein Kind, das sein Lieblingsspielzeug hergeben sollte.
Mike nickte. »Wenn ich die Kamera aus der Hand legen kann, kannst du ja wohl deine Gewinne loslassen.«
»Ich schließe sie so schnell ins Herz«,
Weitere Kostenlose Bücher