Noch ein Kuss
wir uns denn unterhalten?«, fragte sie argwöhnisch.
»Über das, was gestern Nacht passiert ist.«
Carly verschränkte die Arme vor der Brust. »Nichts ist passiert.«
Mike kniff die Augen zusammen und musterte sie streng. »Komisch, ich hätte nicht gedacht, dass du feige bist.«
Carly überhörte die Bemerkung einfach. »Wir waren auf einer überfüllten Tanzfläche. Und es ist nichts passiert.« hallte die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf wider. Dann stiegen die Tränen, die sie spätnachts noch mühsam unterdrückt hatte, wieder in ihr hoch und drohten beim kleinsten Anlass hervorzuschießen.
»Woher habe ich gewusst, dass du das sagen würdest?«
Carly strich sich die Ponyfransen aus den Augen und schob eine verirrte Haarsträhne hinter das Ohr. »Weil es die Wahrheit ist.«
Mike hob die Hände, als gäbe er sich geschlagen. »Du hast gewonnen. Jedenfalls fürs Erste«, grummelte er. »Heute ist ein wunderschöner Tag. Zu schön, um zu Hause zu bleiben.« Er sah sich um und bemerkte die Putzutensilien und Spendenkartons, die in der Wohnung herumstanden. »Und viel zu schön, um den Hausputz zu erledigen.«
»Hast du eine bessere Idee?« In der Sekunde, in der die Worte ihr entschlüpft waren, bereute Carly sie schon.
Ein verschmitztes Lächeln erschien auf Mikes Lippen. »In der Tat. Magst du Vergnügungsparks?«
»Wer tut das nicht?« Peter. Der gemeine Gedanke wurde sofort wieder weggeschoben. Wenn Peter sie zurückgerufen hätte, bevor er ins Büro gegangen war, wäre vielleicht jetzt er anstelle seines Bruders bei ihr. Was jedoch, so wie sie Peter kannte, eher unwahrscheinlich war. Die Arbeit kam schließlich zuerst.
Carly zwang sich zu einem Lächeln. »Vergnügungsparks und Jahrmärkte nicht zu mögen ist unamerikanisch.«
»Dann muss ich also nicht erst meinen Charme spielen lassen, um dich zu überreden.« Mike grinste. »Also? Worauf wartest du?« Er klopfte ihr sanft auf den Rücken. »Los, zieh dich um, die Jeans sind heute viel zu warm?«
»Du meinst es wirklich ernst.« Wie konnte sie guten Gewissens mit ihm ausgehen?
»Selbstverständlich. Ich habe sogar ein Auto gemietet. Playland ist nur eine knappe halbe Stunde von hier entfernt, oder hast du das nicht gewusst?«
Die letzte gute Erinnerung, die Carly an ihren Vater hatte, war mit einem Sonntagsausflug verbunden, bei dem er mit ihr ins Playland gefahren war. »Bist du schon mal da gewesen?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen.
»Ich bin in der Gegend aufgewachsen.«
»Stimmt, das hatte ich vergessen.«
»Du hältst mich hin«, stellte er überaus hellsichtig fest. »Willst du nun mit oder nicht?«, fragte er.
Playland. Carly dachte an ihre schönen Kindheitserinnerungen und spürte, wie ein gelöstes Lächeln auf ihren Lippen erschien, das erste seit langer Zeit. Mike streckte seine gebräunte Hand nach ihr aus. Carly zögerte noch, und eine gespannte Stille trat ein.
Sie wollte erst den widerstreitenden inneren Stimmen lauschen, ehe sie eine Entscheidung traf. Am Ende schlug sie in Mikes Hand ein. Dieses eine Mal nur würde sie ihrem Herzen folgen.
Carly schaute auf ihre Hand hinunter, die in Mikes festem Griff geborgen war. Klebstoff hätte sie nicht stärker aneinander binden können als die wenigen Stunden, die vergangen waren. Unfähig, sich die Chance, Zeit mit ihm zu verbringen, entgehen zu lassen, hatte sie das selbstauferlegte Versprechen, Distanz zu ihm zu wahren, gebrochen. Ein einziges Mal konnte nicht schaden, hatte sie sich eingeredet. Und nun fragte sie sich, was ihr Vater sich während seiner Affäre mit seiner fünfundzwanzigjährigen Sekretärin wohl alles eingeredet haben mochte.
Sie ließ den Blick über den Park schweifen und lauschte den Schreien, die aus den Gondeln der verschiedenen Fahrgeschäfte drangen. Außer im Pferdekarussell hatte sie bei jeder Fahrt den Kopf an Mikes Brust gepresst und die ganze Zeit über geschrien. Und sie hatte jede atemberaubende Sekunde, die sie in seinen Armen verbracht hatte, genossen.
Carly drückte ihre gerade gewonnenen Plüschtiere an sich und zupfte Mike zaghaft am Ärmel. Als er sich zu ihr umdrehte, deutete sie auf den Zuckerwattestand.
»Zwei Eis, ein Hotdog und eine Tüte Popcorn reichen noch nicht?«, fragte er schmunzelnd.
Carly zuckte die Achseln.
Mike holte sein Portemonnaie aus der Hosentasche. »Eins muss ich dir sagen, eine Verabredung mit dir ist nicht gerade billig.«
»Das mag sein, aber mit mir kann man eine Menge Spaß haben.« Carly lachte.
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