Noch ein Kuss
lange sie in ein- und derselben Position verharrt hatte. Das Grummeln in ihrem Magen war in dem spärlich möblierten Zimmer deutlich zu hören. Vom selbst zubereiteten Frühstück am Morgen war mehr in der Mülltonne gelandet als in ihrem Bauch. Ein spätes Mittagessen wäre also genau das Richtige, beschloss Carly, und ging in die Küche.
Als es leise an der Hintertür klopfte, wunderte sie sich etwas, denn die Tür führte nicht zur Straße, sondern zum Strand. Sie erwartete keinen Besuch, und Mike war nicht so förmlich, dass er anklopfen würde, um seine Rückkehr anzukündigen. Vorsichtig zog Carly die Vorhänge zurück und fand sich Auge in Auge mit ihrem Exverlobten wieder. Er hatte sie nicht vorgewarnt, daher war sie nicht darauf vorbereitet, sich mit ihm auseinanderzusetzen – wie auch immer.
»Es war eine lange Fahrt, Carly. Lässt du mich rein?«
Immer noch verblüfft starrte Carly durch das Fenster. »Sicher.« Schnell öffnete sie die Tür und ließ Peter in die Küche. Er hatte dunkle Ringe um die Augen und Bartstoppeln auf den sonst glatt rasierten Wangen. Offenbar war er sehr müde. Und wesentlich nachlässiger gekleidet als der adrette Anwalt, den sie gewohnt war. Carly musterte seine zerknitterte Sommerhose und sein burgunderrotes T-Shirt und schüttelte den Kopf. Er war kaum wiederzuerkennen.
»Du scheinst eine lange Fahrt hinter dir zu haben.« Er hätte auch einfach zum Telefon greifen können. »Was machst du hier?«, wollte Carly wissen.
Peter fuhr sich durch das sauber geschnittene Haar. »Ich hatte das Bedürfnis, ein paar Dinge richtigzustellen.« Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß.
Erst da fiel Carly wieder ein, dass sie nichts weiter trug als Mikes blaues Hemd über einem knappen Bikini. Nach der Dusche war ihr das Hemd mit der durchgängigen Knopfleiste als die bequemste Arbeitskleidung erschienen. Und nach den schmerzlichen Enthüllungen am Morgen hatte sie sich, wie sie widerwillig einräumte, mit etwas, das nach Mike roch, getröstet.
Beschämt über ihre knappe Bekleidung versteckte sie sich hinter der Kücheninsel, wo sie sich sofort sicherer fühlte. »Mir ist bereits alles klar, also bist du umsonst gekommen.« Sie wollte nicht mit ihm darüber reden, warum er das Bedürfnis gehabt hatte, sie mit Regina zu betrügen. Sie wusste es schon und brauchte nicht auch noch zu hören, wie wenig sie ihm in Sachen Romantik geboten hatte.
Peter räusperte sich. »Ich glaube, du hast einen falschen Eindruck bekommen.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, wahrscheinlich hattest du genau den richtigen Eindruck.« Er stöhnte entnervt.
»Mach es uns nicht so schwer. Ich habe viel nachgedacht, seit ich hier bin«, erwiderte Carly. »Wir haben beide Fehler gemacht. Ich hätte einfach nicht bei jeder Gelegenheit nachgeben sollen, sodass du dich in dem Glauben wiegen konntest, ich sei zufrieden, obwohl ich es nicht war.«
»Und ich hätte nicht … « Peters blasses Gesicht lief puterrot an.
»Nein, das hättest du nicht.« Trotzdem konnte Carly sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Jetzt, wo sie nicht mehr verlobt waren, fühlte sie sich in Peters Gegenwart wieder viel wohler.
»Ich wollte mich nur persönlich entschuldigen. Schließlich sind wir mal gut befreundet gewesen.«
»Ich weiß.« Carlys Stimme war weich geworden. »Und ich hoffe, wir werden auch in Zukunft Freunde sein. Das ist uns im Laufe der Zeit irgendwie abhandengekommen.«
Peter steckte eine Hand in die Hosentasche und kam auf sie zu. »Eine Weile lief es ganz gut mit uns, aber dann … habe ich statt an dich nur noch an meine Karriere gedacht. Danke, dass du dich bei Roger für mich eingesetzt hast.«
Wenigstens hatte er seine Fehler zugegeben. Und vielleicht sogar aus ihnen gelernt. Er verdiente es, glücklich zu werden, und Carly wünschte ihm ein schönes Leben, solange sie es nicht mit ihm teilen musste. »Du bist ein guter Anwalt. Du hast mich als Sprungbrett gar nicht gebraucht.«
Peter blieb dicht vor ihr stehen.
»Es hat sich doch nichts an deiner Stellung geändert, oder?«, fragte Carly, während sie überlegte, ob ihr Vater ihm aus verspäteter elterlicher Sorge gekündigt haben könnte.
»Wenn ich ehrlich bin, doch.«
»Das tut mir leid. Mein Vater hat mir versprochen, dich fair zu behandeln.«
Peter grinste. »Das hat er auch. Vor dir steht der neueste Sozius der Kanzlei.«
Erleichtert stieß Carly die Luft aus. »Das sind ja großartige Neuigkeiten.«
Peter lächelte flüchtig und strich eine
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