Noch ein Kuss
wirkte Carly entspannt. Oder machte sie ihm nur etwas vor? Was ihm vor seiner Abreise mehr als alles andere am Herzen lag, war, ihr dabei zu helfen, mit ihrem Leben voranzukommen und die schmerzliche Vergangenheit hinter sich zu lassen.
»Dann fang ich mal an. Bis gleich in der Küche.« Carly schob die Bettdecke weg und stand auf.
Mike streckte die Hand nach ihr aus, überlegte es sich dann jedoch anders und ließ sie gehen. Er wusste, wie Vermeidungstaktiken aussahen. Verdammt, er war sogar Experte auf diesem Gebiet. Carly hatte ihn letzte Nacht aus einem Tief geholt. Und er schuldete ihr das Gleiche. Dass er sie an diesem Morgen aus dem Bett entkommen ließ, hieß nicht, dass er sie auch vor ihren Problemen flüchten lassen würde.
Carly nahm die für das Frühstück benötigten Zutaten aus dem Kühlschrank. Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken, wie sehr sie es genossen hatte, neben Mike aufzuwachen, oder wie schön sie es fand, in dem Wissen, dass er es mit ihr teilen würde, das Frühstück vorzubereiten. Nichts davon war von Dauer.
Mehr als einmal unterbrach sie sich, um das blaue Hemd, das sie aus Mikes Schrank stibitzt hatte, nach unten zu ziehen. Er hatte sich mit ihr darum gebalgt und natürlich gewonnen. Aus diesem Grund hatte sie außer dem Baumwollhemd auch nichts weiter an. Doch so viel sie auch an dem Saum zerrte, es reichte nur knapp über den Po.
Nachdem sie mit dem Anrühren des Pfannkuchenteigs begonnen hatte, war sie dankbar für die Beschäftigung, die sie von der letzten Nacht ablenkte. Nicht nur von den sexuellen Erfahrungen, sondern auch von den anderen Erkenntnissen. Alles, was in dieser dunklen Nacht passiert war, hatte ungewollt dazu gedient, die emotionale Bindung zwischen ihnen zu festigen.
Sie mochte Mike wirklich sehr. Wenn er sie verließ, würde sie so sehr trauern, wie sie es nie für möglich gehalten hatte. Carly hätte sich nur zu gern eingeredet, dass sie beide von seiner Abreise profitieren würden, doch je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, desto schwerer fiel es ihr, das zu glauben.
Als Mike in die Küche kam, duftete es köstlich nach selbst gemachten Pfannkuchen. An den Orten, an denen er sich normalerweise aufhielt, gab es solche Annehmlichkeiten nicht. Doch in der Küche roch es nicht nur sehr gut, er fühlte sich auch sehr wohl darin. Viel zu wohl und heimisch. »Sieht so aus, als könntest du kochen.«
»Hast du etwa daran gezweifelt? Eigentlich sollte ich jetzt beleidigt sein. Setz dich«, sagte Carly, indem sie mit dem Pfannenwender auf einen Stuhl deutete.
»Ja, Ma’am«, erwiderte er grinsend.
»Mike?«
»Ja?«
Carly warf ihm einen ernsten Blick zu. »Du hast mir zwar gesagt, warum du in den Hamptons bist, aber nicht, wie du mich gefunden hast. In diesem Haus.«
»Reine Intuition. Ich habe deinen Vater im Büro aufgesucht und ihn nach Motels gefragt.«
»Verstehe.«
»Er hat mir ein Familienfoto gezeigt. Ich glaube, es ist hier aufgenommen worden.«
Carly drehte ihm den Kopf zu. Ihre Miene war unergründlich.
Mike legte nach. »Er hat es auf seinem Schreibtisch stehen.« Das Brutzeln des Öls in der Pfanne lenkte Carlys Aufmerksamkeit wieder auf den Herd und sie kümmerte sich weiter um das Frühstück.
»Nett von ihm«, sagte sie. »Ich frage mich, ob es ihn an glücklichere Zeiten erinnert.« Der Sarkasmus in ihrer Stimme war ebenso unüberhörbar wie der Schmerz. Ein Schmerz, den Mike auch in den Augen ihres Vaters gesehen hatte.
Er dachte an das Foto und den gequälten Ausdruck in Carlys Kinderaugen. Glücklichere Zeiten? Das bezweifelte er. Er wollte auf das Thema zu sprechen kommen, ohne dass sie es für tabu erklärte. Ihr vielleicht helfen, so wie sie ihm geholfen hatte, und wenigstens über die Quelle ihrer Angst reden. »Er hat nach dir gefragt.«
»Und was hast du gesagt?« Carly wendete drei Pfannkuchen und stapelte sie dann auf einem Teller neben dem Herd.
»Nichts. Aber er war besorgt.«
Carlys amüsiertes Schnauben wirkte aufgesetzt. »Er wird darüber hinwegkommen. Seinen besten Mitarbeiter hat er ja noch, selbst wenn Peter nicht sein Schwiegersohn wird.«
»Das ist unfair, Carly. Dein Vater hat mir gesagt, dass er meinen überehrgeizigen Bruder rauswerfen wollte. Aber hast ihn davon abgehalten. Er schien sich echte Sorgen um dich zu machen – nicht um Pete.«
Carly hatte die Pfannkuchen fertig und legte den Schinken in die Pfanne. Ihre hastigen Bewegungen passten nicht zu der lässigen Gleichgültigkeit, die sie
Weitere Kostenlose Bücher