Noch ein Kuss
gemeinsam verspeist hatten. »Habe ich dir schon gesagt, wie gut es mir gefällt, wenn du rot wirst?«
Carly stützte das Kinn auf die angewinkelten Knie. »Irgendwie bringst du mich ständig dazu.«
»Falls du damit auf die letzte Nacht anspielen solltest, die würde ich gern wiederholen.« Mike legte eine Hand um ihren Nacken und begann, mit dem Daumen ihren Hinterkopf zu massieren. Doch anstatt sich zu entspannen, wurde Carly stocksteif bei der gut gemeinten Berührung.
Mike verkniff sich ein Stöhnen. Anscheinend stand ihm noch ein schwerer Kampf bevor, doch er weigerte sich aufzugeben. Nicht, weil er wieder mit ihr schlafen wollte, sondern weil sie lernen musste, dass leidenschaftliche Gefühle zwischen zwei Menschen etwas Wunderbares sein konnten.
»Er hat uns also wirklich verziehen?«, fragte sie.
»Nachdem er dich betrogen hat, kann er ja wohl kaum etwas dagegen sagen. Außerdem seid ihr nicht mehr zusammen, schon vergessen? Du hast dir nichts vorzuwerfen.«
»Das ist Ansichtssache. Ich kann nicht glauben, dass wir miteinander ins Bett gegangen sind, ohne auch nur ein einziges Mal an die Konsequenzen zu denken. Wir hätten Peters Reaktion berücksichtigen sollen, anstatt eure Beziehung zu gefährden, indem wir einfach übereinander hergefallen sind. Und die Tatsache, dass wir daran nicht gedacht haben, spricht Bände.«
Ganz genau. Mike machte sich nichts vor. Carly entzog sich ihm nicht wegen Peter, sondern um sich zu schützen. »Du würdest unsere Nacht also als ein ›Übereinanderherfallen‹ bezeichnen?«
»Ja, du nicht?«
»Nein, verdammt nochmal. Du meinst, wir hatten einfach nur Sex. Das ist es doch, was du mir sagen willst, oder? Dass es rein körperlich war, ohne Verpflichtungen, Hemmungen und Skrupel.«
Bei dieser unverblümten Beschreibung ihrer nächtlichen Aktivitäten zuckte Carly zusammen, und in diesem Moment hasste Mike sich dafür, dass er sie gekränkt hatte. Aber er wusste nur zu gut, was sie vorhatte. Indem sie ihre Beziehung auf die sexuelle Ebene reduzierte, war sie vergleichbar mit der Affäre ihres Vaters … und all den daraus resultierenden schmerzlichen Erfahrungen. Anstatt sich ihren Gefühlen für ihn zu stellen, lief sie lieber schnell vor ihm weg.
Ein Teil von ihm machte ihr keinen Vorwurf. Er konnte ihr Bedürfnis nach Sicherheit ebenso wenig befriedigen wie sein Bruder. Er konnte nicht den Familienvater spielen, den sie brauchte, doch es war ihm auch nicht möglich, sie in Ruhe zu lassen. »Es war also einfach nur Sex«, sagte er noch einmal. »Stimmt doch, oder?«
Carly leckte sich über die trockenen Lippen. »Ganz meine Meinung.« Doch das war gelogen. Mikes nüchterne, lieblose Beschreibung ihres Tuns hatte sie tief getroffen. Dabei bestätigte er nur, was sie sich selbst immer wieder vorbetete: In welche Kategorie ihre Beziehung gehörte. Das war der sicherste Weg, Komplikationen wie die vom Nachmittag zu vermeiden. Und der leichteste Weg, Mike gehen zu lassen, wenn er beschloss, dass es Zeit wurde, sein Vagabundenleben wieder aufzunehmen. Nur dass ihr Herz sich weigerte, das zu glauben und dabei mitzuspielen.
»Eine erstaunlich tolerante Einstellung.« Mike lehnte sich zurück und stützte sich auf die Ellbogen. »Weißt du, Carly, du kannst mir nichts vormachen.«
»Das trifft sich gut, denn das war auch nicht meine Absicht.«
»Du hast Angst davor, deine Gefühle zuzulassen. Deshalb verpasst du uns das Etikett, das du am meisten fürchtest, geißelst dich dafür, genauso selbstsüchtig gehandelt zu haben wie dein Vater – und läufst weg. So weit und so schnell deine Füße dich tragen, nur um der Wahrheit nicht ins Auge sehen zu müssen.«
»Und die wäre?«, fragte Carly mit einem sarkastischen Unterton. »Da du so viel über das Weglaufen weißt, musst du es ja wissen. Also was glaubst du, vor welcher Wahrheit laufe ich davon?«
Mike fasste sie am Kinn und sah ihr in die Augen. »Dass du, wenn uns in die Augen schauen, viel mehr darin entdeckst als nur sexuelles Verlangen – und das versetzt dich verdammt nochmal in weit größere Angst als eine lustbetonte Beziehung, der du unbeschadet entkommen kannst.«
Carly riss sich von ihm los. »Ja, verflucht, du hast recht. Aber du weißt doch selbst, wie es kommen wird: Beim ersten Anruf bist du weg von hier, also warum in Dreiteufelsnamen sollte ich tiefer in mich hineinsehen? Warum zum Teufel sollte ich es zulassen, dass ich mich in dich verliebe?« Ohne auf eine Antwort zu warten sprang Carly
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