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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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Überwinden der Schwierigkeiten enorm wertvoll, dass es von grundlegender Bedeutung war, dass ich mich Problemen gestellt und sie gelöst hatte.
    Wenn ich zu Hause bei meiner Mutter anrief, erzählte ich ihr, es gehe mir gut und sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Aber wenn ich hinterher mit Oma telefonierte, gestand ich ihr mit mühsam zurückgehaltenen Tränen, wie hart es war. Sie beschwor mich dann immer zurückzukommen. Und ich verlor völlig die Kontrolle und heulte los, während sie durchs Telefon immer wieder meinen Namen rief: »Giacomo, Giacomo, Giacomo, wein doch nicht.« Ich hörte auf zu weinen und sagte, dass ich sie liebte, und da fing sie dann an zu heulen.
    Ich musste immer darüber lächeln, dass Oma sich bei mir dafür bedankte, dass ich angerufen hatte: »Und danke, ja… dass du angerufen hast.«
    Tschüs Oma.
    Ein Tag aus meiner Londoner Tristesse ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es war Juli, es regnete. Ich streifte durch diese Stadt, die ich wegen des ständigen Regens verfluchte, wegen der Sprache, wegen der Gesichter der Leute, die mich nie ansahen, jener Menschen, die, wenn ich auch nur ein Wort falsch aussprach, sagten, dass sie mich nicht verstanden, und sich über mich lustig machten. In diese Gedanken versunken, gelangte ich an eine Kreuzung. Bevor ich sie überquerte, schaute ich, ob kein Auto kam. Ich schaute in die Richtung, die ich gewohnt war: nach links. Da kein Auto kam, ging ich los: Rechts bremste ein Taxi scharf und kam erst ein paar Zentimeter vor mir zum Stehen. Ich machte einen Satz nach hinten und sagte kein Wort. Der Taxifahrer beschimpfte mich, dann fuhr er weiter. Ich stand zitternd am Bordstein, die Tränen liefen mir übers Gesicht. Mindestens zwanzig Minuten stand ich reglos da und weinte im Regen. Dann kehrte ich in mein Zimmer zurück und legte mich ins Bett. Erst am nächsten Tag wachte ich wieder auf.
    Ich hatte ein Zimmer in einer Wohnung gemietet, in der noch andere Leute wohnten. Ich lebte in meinem Zimmer und verließ es nie, außer um auf die Toilette zu gehen.
    Damit ich meine Mutter nicht um Geld bitten musste, lebte ich so sparsam wie möglich. Tagsüber versuchte ich auf der Arbeit zu essen. Ich stahl Sachen aus der Kühlkammer. So machte es auch Duke, ein Afrikaner, mit dem ich zusammenarbeitete. Manchmal, wenn er sich heimlich ein Käsesandwich schmierte, machte er eins für mich mit und versteckte es hinter dem Milchbehälter.
    Dass ich mit Duke einen Komplizen auf der Arbeit hatte, gab mir die Kraft, diese Zeit zu überstehen, half mir zu überleben. Nach und nach bekam ich mein Leben wieder in den Griff. Ich begann Englisch zu sprechen und zu verstehen. Dann tauchte Kelly auf. Sie war Kellnerin in dem Restaurant, in dem ich Teller wusch. Sie war blond, hatte blaue Augen und wirkte gar nicht englisch. Wir baggerten uns nicht an, keiner von uns. Sie fragte mich einfach eines Abends, ob ich noch mit auf eine Party gehen wolle. Ich kam mit, und schließlich küssten wir uns und liebten uns und blieben zusammen, bis ich einen Monat später nach Italien zurückging. Ich weiß nicht, ob es an der Sprache lag, aber ich bemerkte irgendwie gar nicht, wie wir zusammenkamen. Es geschah ganz natürlich. Wir schlitterten einfach in diese Geschichte hinein. Die Party fand im Freien statt. Auf eine Leinwand, die so groß war wie die ganze Wand, wurden psychedelische Bilder projiziert. Vorher hatte sie mir eine Pille gegeben. Ich nahm so was zum ersten Mal. Nach der Party, die bis zehn Uhr morgens dauerte, gingen wir zu ihr, und ich schlief dort. Das Bett in ihrem Zimmer war zu klein, es stand an der Wand, deshalb schliefen wir auf dem Boden, auf einer Decke, in dem Zimmer mit dem Sofa. Ich weiß noch, dass ich dort gut geschlafen habe, vielleicht weil ich so müde war. Ich habe nie erfahren, was für eine Pille das war. Ich erinnere mich nur, dass ich an diesem Abend alle liebte. Ich liebte die ganze Welt und hätte sie am liebsten dauernd umarmt, so fest, dass sich auf meinem Bauch der Äquator eingeprägt hätte.
    Wir liebten uns auf der Decke, und es war unvergesslich. Auf der Arbeit erzählten wir niemandem etwas davon, deshalb bestand unsere Beziehung dort aus geheimen Begegnungen und kodierten Blicken und Worten. Wenn ich Kartoffeln schälte, schnitzte ich oft eine in Herzform. Sie lachte darüber. Englische Frauen sind Latino-Romantik nicht gewöhnt. Ein Vorteil für uns.
    Das Ungewöhnliche an unserer Beziehung war, dass wir uns erst

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