Noch einmal leben
finden, explosive Wurfpfeile auf mutierte Monstrositäten zu schleudern.“
Sie lachte. Ihre Zungenspitze schnellte aus dem Mund. „Vor sechs Jahren fand eine große Jagd in Italien statt. Wir jagten Rebhühner durch die Campagna südlich von Rom. Du mußt eine Erinnerung daran haben.“
„Ich?“
„Jim Kravchenko war dabei. Wenn er wirklich dein Fremdbewußtsein ist, mußt du auch über eine Erinnerung daran verfügen.“
Kravchenko brachte prompt die entsprechende Szene in Noyes’ Bewußtsein: ein nebliger Oktobermorgen, die Trümmer eines antiken römischen Aquädukts ragten in den grauen Himmel, elegant gekleidete junge Männer und Frauen verfolgten in Geländewagen erschreckte Vögel über die leicht gewellte Ebene, Gelächter, hin und wieder krachte ein Nadelgewehr, kreischte ein Beutetier auf, das Aroma des Herbsts, Elena saß neben Kravchenko, etwas schlanker als heute, in ein züchtiges Jagdkostüm gekleidet; mit tödlicher Sicherheit schwenkte sie ihr Gewehr und schrie jedesmal vor Freude auf, wenn sie einen Vogel erlegt hatte. Danach war das Prickeln eiskalten Champagners, der Genuß pikanter Speisen, die von anderen Planeten importiert waren, das unbekümmerte Hin und Her belanglosen Plauderns in einem Palazzo am Rande der Stadt. Und Elena in Kravchenkos Armen, sie steckte immer noch in ihrem Jagdkostüm, dann zog sie den plissierten Rock hoch, entblößte die weißen Schenkel, ihre Hüften reckten sich ihm begierig entgegen …
„Ja“, keuchte Noyes. „Jetzt erinnere ich mich.“
„Du mußt eine ganze Menge interessanter Erinnerungen haben. Jim und ich waren einander sehr zugetan.“
„Ich habe noch nicht sehr viel darin herumgeforscht“, sagte Noyes. „Irgendwie kommt es mir unfair vor. Es bringt unsere Beziehung zu meinen Gunsten aus dem Gleichgewicht, Elena. Ich meine, ich besitze sehr intime Erinnerungen an dich, und du weißt so wenig von mir, du hast keinen solchen Einblick in mich.“
Sie sah ihn unverständig an. „Warum läßt sich denn unsereins ein Fremdbewußtsein einpflanzen, wenn nicht, um einen Vorteil daraus zu erlangen? Ich begreife dich nicht, Charles. Wenn du in deinem Kopf Jims Erinnerungen an mich trägst, warum genießt du sie dann nicht?“
- Weil du ein elender Masochist bist, warf Kravchenko ein.
Noyes zuckte zusammen. Zu Elena sagte er: „Du hast recht, ein bißchen dumm ist es schon von mir.“
Er stöberte durch das Archiv der Erinnerungen, das Kravchenko ihm zur Verfügung stellte. Noyes hatte allerdings gelogen; denn er hatte schon öfters in Elenas Beziehung mit Kravchenko spioniert. Er wußte, daß sie zwei Jahre lang zusammen gewesen waren, allerdings war es mit seinem ständigen Auf und Ab eher ein oberflächliches Verhältnis von beiden Seiten gewesen. Kravchenko hatte mit vielen Frauen im Bett gelegen, und wie Noyes vermutete, konnte auch Elena nie einem Mann allein die Treue halten. In Charles’ Bewußtsein lag nun das ganze Repertoire von Elenas Lust ausgebreitet. Er mußte das „Material“ nur noch ordnen und studieren.
Elena sagte: „Ich kann es noch immer kaum glauben, daß Jim schon tot sein soll. Er war so ein aufregender Mann. Vertragt ihr beide euch eigentlich gut?“
„Nein.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen. Warum ist das so? Warum hast du ihn überhaupt bei dieser Unverträglichkeit ausgesucht?“
Noyes bestellte ihnen neue Drinks. „Wir entstammen beide dem gleichen soziologischen Background“, erklärte er. „Ich wollte Vorsicht bei der Auswahl des Transplantates walten lassen. Natürlich hätte ich auch einen Bankier, einen Universitätsprofessor oder einen Raumfahrer nehmen können. Aber stattdessen wählte ich einen reichen Playboy, weil ich damals selbst so etwas war, und ich wollte mehr von der Sorte haben. Nun, das habe ich auch bekommen. Das habe ich jetzt davon: er läßt mir keine Ruhe.“
„Man muß ein Fremdbewußtsein nicht behalten, wenn es einem nicht gefallt“, sagte sie.
„Das weiß ich auch. Vielleicht beantrage ich eines Tages eine Löschung und fange ganz von vom an.“
- Na, Charlie-Junge, da freue ich mich aber schon besonders drauf.
„Vielleicht wäre das das Beste für euch beide“, sagte Elena. „Jim bekäme dadurch auch eine neue Chance. Ist er dein einziges Transplantat?“
„Ja, ich dachte mir, riskier ein zweites lieber gar nicht erst.“
„Möglicherweise hätte ein zweites Fremdbewußtsein Jim etwas zur Ruhe gebracht.“
„Vielleicht. – Wie steht’s denn mit dir,
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