Noch immer schwelt die Glut
Fingerkuppen an die kleinen Scheiben, dann endlich wandte er sich um, die Augen tief in den Lidfältchen verborgen.
»Monsieur«, sagte er, »nach dem, was Ihr zu dem Brief bemerktet, kennt Ihr seinen Inhalt.«
»In der Tat, Monseigneur.«
»Wo logiert Ihr?«
»Im ›Goldenen Schiff‹.«
»Heute, gegen zwei Uhr nachmittags, schicke ich Euch den Hauptmann Le Pierre, bitte, setzt ihn über die Affäre ebenfalls in Kenntnis, damit er die Dinge in die Hand nimmt.«
Ich erlaubte mir, eine bedenkliche Miene aufzusetzen.
»Monseigneur«, sagte ich, »ich hätte in dem Gespräch wenig Autorität. Könnte es nicht besser hier, in Eurer Gegenwart stattfinden? Im übrigen würde der Besuch Eures Hauptmanns bei einem Putzmachermeister Verdacht erregen.«
»Hier, das geht nicht, Monsieur«, sagte Monsieur de Bernay. »Ich werde in den kommenden zwei Tagen nicht zu Hause sein, weil ich mein Gut, zehn Meilen von hier, besuche. Hauptmann Le Pierre hat in meiner Abwesenheit den Befehl über Stadt und Hafen, und da er ein tüchtiger Soldat ist, wird er sicherlich aufs beste zu handeln wissen.«
Ich schwieg und bekundete durch meine Blicke einiges Erstaunen darüber, daß der Gouverneur einer königlichen Stadt sich gerade in dem Moment entfernte, als er erfuhr, daß man sie ihm nehmen wolle.
»Hauptmann Le Pierre«, sagte Monsieur de Bernay, »wird mit seiner Frau kommen unter dem Vorwand, ihr dies und jenes bei Euch zu kaufen, das begründet seinen Besuch.«
»Monseigneur«, sagte ich nach kurzem Schweigen, »da Ihr bei dem Gespräch nicht zugegen sein werdet und der Hauptmann mich nicht kennt, beliebt mir den Brief des Königs zurückzugeben, damit ich ihn vorzeigen und meine Mission glaubhaft machen kann.«
»Euer Verlangen ist sehr verständlich«, sagte der Gouverneur und reichte mir eilig den Brief, als brenne der ihm in den Händen und als sei er heilfroh, die heiße Sache auf Hauptmann Le Pierre abzuwälzen. Mochte in Boulogne geschehen, was |254| wollte, auf seinem friedlichen Gut, zehn Meilen von Boulogne, konnte er sich besagte Hände in Unschuld waschen, notfalls sogar behaupten, weder habe er mich je gesehen noch den Brief gelesen, weil er schon abgereist war.
Als der Hauptmann im »Goldenen Schiff« erschien, machte er mir einen ganz anderen Eindruck, aus seinem straffen Körperbau, seinem hageren Gesicht, seinen schwarzen Augen sprach jene Entschlossenheit, die dem Gouverneur abging. Dazu war sein Blick offen, sein Wort schnörkellos. Ich empfing ihn in einem der beiden Zimmer, die wir in dem Gasthof innehatten; und weshalb ich zwei genommen hatte und nicht eins, obwohl sie durch eine Tür verbunden waren, wird der Leser, wette ich, erraten: In dem einen schlief Alizon und empfing ihre Kundschaft, das andere war mir und meinen Besuchern vorbehalten.
»Donnerschlag!« rief Le Pierre voll Ärger und Zorn, nachdem er den Brief Seiner Majestät gelesen hatte, »wer hätte gedacht, daß Vogt Vétus das Vertrauen des Königs täuschen und sich zu Guises Werkzeug machen könnte, um Seiner Majestät einen so wichtigen Hafen wie Boulogne zu nehmen! Und wer sieht nicht, daß die Geschichte den Franzosen gar nichts nützt, nur den Spaniern! Dies ist schändlichster Verrat!«
Sosehr Monsieur de Bernay mich enttäuscht hatte, sosehr entzückte mich Le Pierre durch seine Worte. Zumal er hinzufügte, daß er als Bürger von Boulogne lieber sterben würde, als seine Stadt unter fremdes Joch geraten zu lassen, ob lothringisch oder spanisch. Um ihm aber noch weiter auf den Zahn zu fühlen, fragte ich, was er davon halte, daß die Ligisten ihre Unternehmungen mit der Religion begründeten.
»Bah!« sagte er, »Heckmeck! Der König ist katholisch, wie Ihr und ich. Vor Navarra braucht sich niemand zu fürchten, denn der König ist nicht tot. Diese Fremden (er meinte die Lothringer) haben Appetit auf den Thron, das ist alles! Das übrige ist doch nur Geschwätz kleiner Priester, die von früh bis spät Ketzer fressen. Wenn der König die Ketzerei bekriegen will, bin ich dabei. Will er Frieden halten, bleibe ich friedlich. Wir haben hier auch unsere geschworenen Ligisten. Aber, zum Donner, solange ich da bin, rühren die mir das kleine Volk nicht auf zu Tumult und Abtrünnigkeit! Da halte ich die Hand drauf!«
|255| Hierzu ballte er die Rechte zu einer Faust, die mich weder klein noch unentschlossen dünkte.
»Ach, Hauptmann!« sagte ich, »wie froh bin ich, das von Euch zu hören, denn Monsieur de Bernay war so
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