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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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London, so beschloß ich nun, es zu lassen, um ihn nicht der grausamsten Enttäuschung auszusetzen, falls ich scheiterte. Ich nahm also nur Miroul mit, der zum einen vor Kränkung, da ich ihm nichts verriet, zum anderen aber vor Ungeduld brodelte, übers Wasser zu fahren und die berühmte Stadt London zu sehen, in der mein großer Bummler sich gewiß voll höchstem Entzücken umtun würde.
     
    Doch nicht, daß besagte Überfahrt sehr angenehm war, im Gegenteil. Ich hatte das Meer in jungen Jahren zu Montpellier gesehen, aber das Mittelmeer, und zur Sommerszeit, in seiner schönsten und lichtesten Bläue. Dieses aber, das uns von England trennt, zeigte sich überaus grau und stürmisch an jenem Novembertag, als wir uns bei Morgengrauen zu Calais einschifften, von eisigem Regen gepeitscht, mit einem Wellengeschaukel, daß man fast seine Eingeweide erbrach, und einer so scharfen Brise, daß sie uns zwei Segel zerfetzte und wir nach einer Stunde Fahrt zurückkehren mußten in den Hafen, von wo wir am nächsten Morgen erneut aufbrachen, als der Wind sich ein wenig gelegt hatte, aber uns nun leider entgegenblies. Folglich brauchten wir fünf geschlagene Stunden bis Dover – das auf dem Landweg doch so nahe läge und soviel schonender für unsere Mägen, die dermaßen gelitten hatten, daß Bellièvre in Anbetracht des erbärmlichen Zustands, in welchem die Edelleute seines Gefolges wie auch ihre schwer geprüften Pferde landeten, und da er selbst sich quittegelb im Spiegel erblickte, beschloß, zwei Ruhetage einzulegen, ehe man sich auf den Weg nach London machte.
    Der Gesandte L’Aubépine dünkte mich weniger stachelig, als der König gesagt hatte, eher eng und beschränkt in seinem Urteil, als er Bellièvre und seine Suite im großen Saal der Gesandtschaft empfing, gehörte er doch zu jenen Franzosen, die auf fremdem Boden ständig Frankreich und Paris im Munde führen zum Nachteil des Landes, in dem sie leben und dessen Sprache sie nur unzulänglich beherrschen.
    Hörte man ihn, dann hatten wir in London nichts wie Ärgernisse und Enttäuschungen zu gewärtigen. Die City, nur aufs Nordufer der Themse begrenzt, sei recht klein, nicht einmal halb so groß, so bevölkert und mannigfaltig wie Paris, sie habe weder |312| so reiche Läden noch so gutes Essen, noch seien das Klima so gesund und die Frauen so schön oder die Sitten so ansprechend. Es gebe wenige Ballspielhäuser, die Spieler seien schlecht, die Schläger – außer den aus Frankreich importierten – federten nicht genügend. Die Engländer zerstreuten sich trübselig mit Kugelspielen, Bogenschießen, Hahnenkampf, oder indem sie Hunde auf einen Bären hetzten. Vor allem sollten wir uns hüten, sagte L’Aubépine, einen Fuß ins Theater von Burbage in Shoreditch zu setzen oder in das seines Sohnes in Blackfriars. Nicht allein, daß die Stücke dort auf englisch gespielt würden und unerträglich kindisch seien, sondern man hole sich in diesen Treibhäusern auch die Pest, es wimmele von Huren und Sodomiten, und die Frauenrollen in den grotesken Trauerspielen seien mit Schwulen besetzt.
    »Und flieht Southwark wie die Pest«, fuhr er fort, »in jener Vorstadt blühen Bordelle mit Weibern, die ich nicht mit der Stockspitze berühren würde. Und steckt, um Gottes willen, die Nase nicht in die Kneipen, man würde nur Streit mit Euch suchen, denn wir Franzosen sind beim niederen Volk verhaßt, weil wir der heiligen katholischen Religion angehören und verdächtig sind, Verschwörungen gegen die Königin im Schilde zu führen. Im Gasthof, denn mangels Platz kann ich nur Monsieur de Bellièvre hier beherbergen, behaltet Eure Börse im Auge und laßt Euch nicht mit den Mägden ein: Sie würden Euch rupfen wie Hühner. Und schließlich, gebt acht, daß Ihr alle zusammenbleibt oder doch jeweils zu mehreren, damit Ihr einander beistehen könnt, sollte einer angegriffen werden.«
    Den letzten Rat zu beherzigen, hatte ich nun keine Lust, vielmehr wollte ich in London unter Engländern leben und nicht unter Pariser Franzosen, die ich am Hof alle Tage sah. Und weil ich mir sagte, daß ein Geheimbote der Königin mich leichter aufsuchen könnte, wenn ich allein in einem Logis wohnte und nicht von Landsleuten umgeben, beurlaubte ich mich auf englische Art – was man hier
»take french leave«
nennt, sich auf französisch verabschieden, schiebt doch jedes Volk unschöne Sitten gerne dem Nachbarn zu, ja sogar Krankheiten, wie an der Syphilis zu sehen, die bei den

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