Noch immer schwelt die Glut
Guise ist Lothringer, und obwohl der französische Hof ihm die Heimaterde ein wenig von den Stiefeln gekratzt hat, wird er doch seine germanische Schwere nicht los, und er wird über kurz oder lang der Florentiner Finesse des Medici-Sohnes erliegen. Außerdem ist der König schwul, und wer schwul sagt, sagt Komödiant.«
»Signore«, sagte ich lächelnd, »ich bewundere Euren venezianischen Scharfsinn, aber, bitte, laßt mich nicht länger darben, sprecht das angekündigte Wort, auf daß ich sehe, ob es, wie Ihr sagtet, ein ganzes Buch wert ist.«
»Oder wenigstens eine Puppe«, versetzte Venetianelli. »Es ist dies, Monsieur, und danach mögt Ihr mir sagen, ob es nicht bis an die Zähne mit Pulver geladen ist: Morgen, Monsieur, am späten Morgen, nach der Messe oder nach Vesper, wird Guise zum König sagen, er sei all der Verdächtigungen müde und leid, die seine unschuldigsten Handlungen ihm bei Seiner Majestät eintrügen, und habe darum beschlossen, sein Amt als Generalleutnant niederzulegen und Blois zu verlassen.«
»Ha!« sagte ich voll Staunen, »das mutet auf den ersten Blick wie eine starke Drohung an. Aber, Signore«, fuhr ich fort, »könnt Ihr, dessen scharfes Auge auch die geheimsten Absichten durchdringt, mir verraten, worauf der Herzog mit diesem Bruch abzielt?«
»Darauf, daß der König erschrickt und ihn zu halten versucht, indem er ihn zum Konnetabel ernennt, oder, was auf dasselbe hinausläuft, daß die Generalstände den König ›bitten‹, ihn dazu zu ernennen, andernfalls würden sie sich auflösen und ihn ohne Geld sitzenlassen.«
»Ha, Signore!« sagte ich, »noch zögere ich, diese unerhörte |498| Anmaßung ganz zu fassen! Wenn mir recht ist, hatten wir in Frankreich seit zwanzig Jahren keinen Konnetabel mehr, so sehr fürchteten unsere Könige die Macht dieses Amtes, das seinen Inhaber mit dem Souverän fast auf eine Stufe stellt. Guise und Konnetabel! Der schon König von Paris ist! Und König der Generalstände! Das heißt, einen zum Riesenkater aufblähen, um den König zu einer ganz kleinen Maus zu machen.«
»Die allerdings«, sagte Venetianelli mit einem dünnen Lächeln, »jedes Interesse hat, sich des Katers zu entledigen, solange er noch nicht zur vollen Größe gelangt ist.«
Derselbe Gedanke schoß auch mir durch den Hinterkopf, doch beließ ich es dabei, weil ich meinte, daß Venetianelli künftig kaum mehr Gelegenheit haben würde, mir seine kostbaren Spenden zu bringen.
»Signore«, sagte ich daher, während wir unsere Mahlzeit beendeten, »Ihr habt mich nicht betrogen: Dieses Wort ist ein Buch wert: Hier, die
bambola
gehört Euch. Erlaubt nur, daß ich, bevor ich sie Euch überlasse, und durch Euch der
Cavaletta
, die Nadel aus ihrem Herzen ziehe, weil sie den Sternen und Nostradamus doch vollkommen und schimpflich entgegensteht. Und solltet Ihr bis zum Wochenende noch eine Neuigkeit von Bedeutung hören, darf ich hoffen, daß Ihr mich trotzdem davon unterrichtet?«
Venetianelli versicherte es mir beim Abschied mit einem solchen Überschwang von Freundschaft und Wärme, daß ich mich, während ich ihm mit den Augen durchs Treppenhaus hinunter folgte, doch etwas beschämt fühlte, ihn durch meine Finten überlistet zu haben. Doch am meisten beschämte mich, daß ich mir durch solche Mittel einen solchen Freund erworben hatte. Aber warum nicht! Aus welchem Grund sollte ein Schelm, der zu seinem Schelmentum steht, nicht auch einige Herzenseinfalt haben, die ihn uns am Ende erträglich und liebenswert macht?
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|499| FÜNFZEHNTES KAPITEL
Am Mittwoch, dem 21. Dezember, um sieben Uhr früh, konnte ich dem König das Neueste berichten, während er beschäftigt war, seine Ohrgehänge abzulegen – jawohl, abzulegen. Zuerst lauschte er mir sprachlos, dann warf er Du Halde einen Blick zu und sah mich vollkommen ungläubig an.
»Mein Sohn«, sagte er, »das kann ich nicht glauben. Nicht einmal von Guise! Im übrigen sehe ich ihn um acht Uhr zur Messe in der Saint-Calais-Kapelle, und wenn er mich nach der Messe anspricht, werde ich ja sehen, was daran Wahres ist, oder ich bin schwer mit ihm zerstritten. Du Halde«, fuhr er fort, »mein fauler Sekretär ist noch nicht erschienen – würdest du für mich ein Billett an Madame de Sauves schreiben?«
»Aber gern, Sire«, sagte Du Halde, holte sich Schreibzeug und wartete.
»Schreib«, sagte der König:
»Madame, ich wäre untröstlich, würdet Ihr mir die Bitte abschlagen, die ich mit diesen bekümmerten
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