Noch nicht mal alleinerziehend
Erwartungsgemäß drehte sich heute alles um Sophie und ihre Schwangerschaft. Jules, Sophies Erstgeborener, saß später eng an Nora gekuschelt auf dem Sofa. Sophie hatte Nora ein pädagogisch wertvolles Kinderbuch mit dem Titel »Ich bekomme ein Geschwisterchen« in die Hand gedrückt, und Nora las ihm daraus vor. Das Buch erklärte ganz genau, was da mit Mamis Bauch los war, der jetzt einen Untermieter hatte, welcher sich allerdings erst in neun Monaten persönlich vorstellen würde. Im Buch waren lustige Türchen, die man aufklappen konnte, z. B. am schwangeren Bauch der Mami, um einen Blick auf das heranwachsende Baby zu gewähren. Marc und Mina, die Kinder ihres Bruders, hatten sich auf die andere Seite von Nora gesetzt und lauschten ebenfalls aufmerksam ihren Ausführungen.
»Will nicht Baby«, sagte Jules plötzlich. »Don’t like«, fügte er mit irischem Akzent hinzu. Charles sprach mit ihm in seiner Muttersprache und Sophie in ihrer, so dass der zweijährige Wurm schon die wichtigsten Wörter bilingual zum Ausdruck bringen konnte.
»Ich fand Mina erst auch ganz doof, aber heute finde ich sie echt in Ordnung«, wandte sich Marc ganz erwachsen an seinen Cousin.
»Ich fand dich auch doof«, entgegnete Mina trotzig, als könne sie sich daran noch genau erinnern.
»Baby – give away! Will nicht«, beharrte Jules.
Mina schaute nachdenklich in die Luft und streckte dann ihren rechten Arm mit erhobenem Zeigefinger in die Luft, als ihr die ultimative Lösung eingefallen war. »Du, Nora?«, begann sie. »Du hast doch keinen Mann, oder?«
»Nein.«
»Und ein Baby hast du auch nicht.«
»Nein.«
»Nicht mal ein Haustier, oder?«
»Nein, kein Baby, kein Haustier.«
»Na, dann ist das ja sonnenklar!« Hier sprach sie deutlich die Sprache ihrer Mutter. »Das Baby zieht zu dir. Dann bleibt bei Jules alles, wie es ist, und du bist nicht mehr so alleine.«
Die Logik einer Sechsjährigen! Marc stieß ihr anerkennend mit dem Ellbogen in die Seite, Mina strahlte stolz über ihren Geistesblitz, und Jules, der sich wohl kaum über das Ausmaß dieser Idee bewusst war, hatte zumindest verstanden, dass das ungewollte Baby soeben irgendwie aus seinem Weg geräumt worden war.
»Nee, nee! So läuft das nicht«, sagte Nora lachend.
»Mama, Sophies Baby zieht bei Nora ein«, rief Marc seiner Mutter zu, die mit dem Rest der Familie am Esstisch saß und bis dato in ein Gespräch vertieft war.
»Was?!«, fragten Karin und Sophie wie aus einem Mund.
»Phhh«, machte Noras Mutter und bekam einen fast hysterischen Lachanfall. »Da verliebt sich ja gerade Wahnsinn in Irrsinn!«
Nora ignorierte dies und erklärte ihren Neffen und ihrer Nichte, dass das Baby auf keinen Fall zu ihr ziehen könnte, weil die Sophie sonst ganz, ganz traurig wäre. »Das ist so, als wenn euch jemand euer Lieblingsspielzeug wegnehmen würde.«
»Schöner Vergleich«, kommentierte Johann.
Noras Mutter lachte lauter. »Sag ich ja. Wahnsinn und Irrsinn.«
Nora runzelte die Stirn.
»Nora!«, sagte ihr Vater sanft und zwinkerte ihr aufmunternd zu. »Nicht die Zornesfalte. Die spaltet dir immer den ganzen Schädel.«
Nora strich sich über die Stirn. Gegen dieses Ding musste sie unbedingt etwas unternehmen. Unterspritzen oder so …
»Warum hast du eigentlich keinen Mann?«, unterbrach Marc ihre Gedanken. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schaute sie besorgt an.
»Tja …«, sagte ihre Mutter. »Das weiß allein der liebe Herrgott.«
Nora ignorierte sie stoisch und machte »Mmmh …« Sie lächelte. Wenn die wüssten … Der liebe Herrgott hatte sie längst erhört.
»Du bist doch eine Frau?«
»Ja.«
»Und Frauen haben Männer! Und dann kriegen sie Babys …«
»Mmmh!« Nora beschloss, dass Marc, Mina und Charles für Aufklärung noch zu jung waren. Sie würden früher oder später selbst darauf kommen, dass Sex in erster Linie Spaß machte und nicht nur Mittel zum Zweck war …
Als Nora am späten Nachmittag wieder nach Hause kam, war sie so gar nicht in Ausgehstimmung. Nora war gerne bei Kim und Marie, in diesem herrlichen Loft in der Südstadt, das irgendetwas zwischen Atelier, Wohnung und Ikea-Kinderparadies war. Nicht zuletzt, weil es hier immer eine warme Mahlzeit für Nora gab, die kochtechnisch eine Nachzüglerin, vor allem aber bequem war. Aber heute? An diesem Samstagabend, nach der letzten Nacht und einem Tag bei ihren Eltern? Sex und Familie machten müde. Nora hätte sich viel lieber in die Badewanne gelegt, um
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