Noch nicht mal alleinerziehend
gleichzeitig schwanger? Diese Fragen stellte sich Nora eigentlich schon seit gestern Abend. Erst hatte ihr Bruder sie vor etwas über acht Jahren zur Tante gemacht. Bei Johann hatte sie das nicht überrascht, es passte hervorragend in seinen Plan vom Glück: beruflich erfolgreich, heiraten, Haus kaufen, Baum pflanzen, einen Golden Retriever zulegen und Kinder bekommen, am besten zwei, einen Jungen und ein Mädchen. Und genau so war es gekommen. Wie beim Universum bestellt. Aus ihrem Freundeskreis war Kim überraschenderweise der Erste gewesen, der vor fünf Jahren eigenen Nachwuchs in die Welt gesetzt hatte. Er, der Künstler, der eigentlich nichts mehr hasste als das kleinkarierte Bürgertum. Sehr wahrscheinlich hatte er Marie, mit der er nun auch schon sieben Jahre zusammen war, nur noch nicht geheiratet, um der Spießigkeit zu trotzen. In wilder Ehe vor zwei Jahren Kind Nummer zwei folgen zu lassen, schien die logische Folge. Dann Daggi und Schorsch. Als Nächstes zogen vor drei Jahren Frauke und Senta nach. Beide waren gerade 33 gewesen, ziemlich früh, fand Nora. »Kind, ich war 20, als Jo auf die Welt kam«, hatte ihre Mutter damals gesagt, als sie ihr die Neuigkeiten überbrachte und ihre Bedenken äußerte. »Das waren ja auch ganz andere Zeiten, Mami«, sagte Nora.
»Ich wüsste nicht, dass der Körper einer Frau heute nicht genauso schnell altert wie eh und je. Nur weil eure Generation alles tut, um bloß nicht erwachsen zu werden«, folgte die Spitze ihrer Mutter.
Nora hatte zu keinem weiteren Versuch angesetzt, ihren Standpunkt zu erläutern. Sie wollte sich die Parolen gegen die »Generation Spaß«, die Frage, was wohl Hunderttausende von Eltern falsch gemacht haben, dass so viele infantile Anfang-und-Mitte-Dreißiger herumliefen, ersparen. Besonders auf die Erkenntnis ihrer Mutter: »Wir haben euch einfach zu viel ermöglicht. Ihr hattet ja alles – Geld, Klamotten, Mofas und mit 18 das erste Auto …«, konnte sie dankend verzichten. Das hatte sie schon zu oft gehört. In anderen Situationen pflegte Nora gerne hinzuzufügen: »Du hast mir jahrelang gepredigt, dass ich mich bloß nicht zu früh an einen Mann binden soll, damit ich mich verwirklichen kann. Und jetzt soll das auch nicht richtig sein!«
»Ja, und für diesen Rat könnte ich mich heute noch stundenlang ohrfeigen. Aber damals hatte ich ja keine Ahnung, dass du deshalb dein ganzes Leben vertrödeln würdest und dir bis zum heutigen Tag kein Licht aufgegangen ist.« Noras Mutter war gut! Manchmal zu gut für ihre Tochter.
Jetzt gab es also eine ganze Schwemme an Erst- und Zweitschwangerschaften. Irgendwie kam Nora sich vor, als hätte sie die letzten Jahre auf einem anderen Planeten gelebt und »plop«: Alles war anders, ohne dass sie es mitbekommen hatte. Das war ihre Party gewesen. Und was war das Thema des Abends? Klar, freute sie sich für ihre Freundinnen. Das war, was sie wollten, was sie sich für ihre Zukunft vorstellten. Aber Nora eben nicht. Sie konnte nun wirklich nichts damit anfangen. Genauso wenig wie Luna. Also hatten sie sich betrunken. Wie zwei Kinder, während alle anderen mittlerweile ein vernünftiges Erwachsenenleben führten. Hatte Nora den Zug verpasst?
»… oder willst du ewig alleine bleiben?«, hörte sie ihre Mutter.
Augenblicklich sah Nora sich mutterseelenallein in einem staatlichen Altersheim vor sich hin vegetieren.
»Aber man kriegt doch auch Kinder, damit man später nicht alleine ist«, hatte ihre kleine Schwester einmal zu ihr gesagt, als es um dieses Thema ging.
»Sophie, weißt du, wie viele Leute ich kenne, die auf gar keinen Fall mehr irgendetwas mit ihren Eltern zu tun haben wollen? Die sprechen nicht mal mehr miteinander! Das ist doch keine Garantie«, hatte Nora erbost geantwortet. Solche Argumente waren ihr immer zu platt. Und warum musste sie überhaupt argumentieren? Sie hatte einfach weder den Wunsch noch das Bedürfnis, Mutter zu werden. Hatte sie nie gehabt. Sie musste so sechs gewesen sein, als sie ihren Eltern erstmals mitgeteilt hatte, dass sie gerne bei den Nachbarn babysitte, aber keine eigenen Kinder wolle. »Woher hat das Kind das bloß?«, fragte ihr Vater damals seine Frau. Die hatte nur mit den Schultern gezuckt. Als sie als Teenager immer noch daran festhielt und die Erkenntnis hinzukam, auch nicht heiraten zu wollen, erklärten sich Noras Eltern dies mit der Pubertät. Das sei ganz normal, diese Anti-aus-Prinzip-Phase gegen alles und jeden! Vor allem gegen das Lebensmodell
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