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Noch Viel Mehr Von Sie Und Er

Titel: Noch Viel Mehr Von Sie Und Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen von der Lippe
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aussehen zu lassen, und wer weiß, vielleicht wäre die chinesische Revolution weltweit ein Riesenerfolg geworden, wenn die Kader mehr Wert auf ihr Äußeres gelegt und den Mao-Anzügen, z. B. mit einem leicht karibisch anmutenden Farbmix, eine fröhlich stimmende und optimistische Note gegeben hätten.
    Jedes Volk verdient die Mode, die es trägt, ob Holzschuhe, Baskenmütze oder Burka. Ich gehöre noch zu der Generation, die einem Loch in der Jeans einen Zeitgeistaspekt abgewinnen konnte und ein Blümchen darüber stickte. Meine gelbe Cordjeans hab ich so geliebt, dass ich sie noch trug, als auf den Oberschenkeln und am Hintern gar kein Cord mehr war, sondern nur hauchdünnes Gewebe. Ich hab sie immer zu Hause beim Putzen getragen und konnte ja nicht damit rechnen, dass ich plötzlich mit viel Geschrei auf die Straße gerufen würde, weil meine dort geparkte Ente angefahren worden war. Als ich mich über die Kühlerhaube beugte, um die Angaben des türkischen Unfallverursachers zu notieren, zerfiel sie förmlich, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn ich vor lauter Aufregung die Wohnungsschlüssel nicht vergessen hätte. Erschwerend kam hinzu, dass bald auch noch dunkle Rauchschwaden aus dem Küchenfenster zogen, die von meiner Pfanne mit Gehacktem auf dem Ofen herrührten. Hätte ich geahnt, dass zerrissene Hosen einmal voll der Hype sein würden, wäre ich mit dieser Situation erheblich lässiger umgegangen und hätte sagen können: Krasse Mode, Alter, guckst du aber besser mal nach deinen Bremsbacken.
    Heute ist zum Glück fast alles Mode, alles kann mit allem zusammen getragen werden. Als ich das erste Mal meine Nachbarin mit der Kombination lange Hose und Kleid sah, dachte ich zuerst an ein ungelöstes Entscheidungsdrama vor dem morgendlichen Kleiderschrank. Aber es war kreatives Modebewusstsein, das die Individualität hervorhebt, wie es mittlerweile schon die Kleinsten verinnerlicht haben, die ohne das richtige Outfit von Oilily oder Aldi keinen Fuß mehr in den Kindergarten setzen. Beim Shopping in einem Designerladen entdeckte ich neulich ein Teil auf dem Bügel, das sich nicht identifizieren ließ. Ich fragte die Verkäuferin, aber die konnte sich auch keinen Reim drauf machen und holte die Abteilungsleiterin. Gemeinsam legten wir mir diese ausgesprochen fantasievolle Kreation an. Ein Wickelrock, wie sich herausstellte, an den ein lendenschurzförmiger Gürtel angenäht war, an dem wiederum ein Lappen hing, der schräg über die Brust – wie ein Schild – und dann über eine Schulter gezogen wurde, hinten wieder schräg über den Rücken bis zur Taille und nochmal um sie herumführte und mit einem Klettverschluss am Gürtelschurz festgemacht wurde. Sensationell waren auch die an vielen originellen Stellen angebrachten kleinen Taschen mit Reißverschlüssen, die man auf- und zumachen konnte und die wohl für den handfreien Transport einzelner Briefmarken gedacht waren. Natürlich hab ich mir diesen Überhammer sofort an Land gezogen. Nur hab ich den zu Hause leider nicht wieder so angezogen gekriegt und selbst mein Mann, diplomierter Designer, war schnell am Ende seines Lateins. Sein Kommentar: »Na, da hast du ja mal was angeschafft, das noch komplizierter ist als du«, hat mich zumindest etwas getröstet.
    Ohne Mode hätten Frauen auch viel weniger zu tun – im Waschsalon und bei der Haute Couture. Es ist ja nicht so, dass einem nur das Geld fehlt, um Versace, Dior oder Gucci zu tragen, manchmal ist auch einfach die Zeit nicht da für einen Trip nach Mailand oder Paris, um sich mit dem allerletzten Schrei einzudecken, weil man da gerade wieder bügeln muss. Bei vielen lassen auch die äußerlichen Bedingungen eigentlich keine modischen Experimente zu, aber gerade die fahren am meisten darauf ab. Ich hatte die allerfettesten Schulterpolster der Achtzigerjahre und sah aus wie Meister Propper mit Spinatwachtelbeinen oder, wenn ein Polster verrutscht war, wie ein vergeigtes Anabolika-Experiment aus DDR-Olympia-Tagen. Zum Glück hält die aktuelle Mode gerade mal eine Saison und nicht mehr eine Epoche. Bin ich froh, dass ich nicht jahrelang viel Dekolleté zeigen musste, weil ich so extrem wenig Holz vor der Tür habe. Und mit Push-up-BHs komm ich mir vor wie eine Seifenblase, die jeden Moment platzen kann, wie damals meine gelbe Hose. Im Allgemeinen tun meine Freundinnen und ich wirklich alles modisch Mögliche, um ein bisschen Glanz vor die Hütte zu zaubern, kämpfen mit jedem Zentimeter beim

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