Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
rumorte es in ihrem Bauch, weil ihr Wiedersehen mit Nocona unmittelbar bevorstand. Laut den Kundschaftern hatten die Quohadi heute Morgen den Tafe l berg passiert. Ihre Ankunft im Dorf stand unmittelbar bevor.
Und Nocona war unter ihnen.
All die Monde, die sie getrennt gewesen waren … hatte er sich verä n dert? Hatte sie sich verändert? Erinnerte er sich an jenen Morgen am Fluss, als sie das Erwachen des Tages beobachtet hatten? Erinnerte er sich an die Nähe, die sie miteinander geteilt hatten, und an sein Verspr e chen?
Sie fand keine Ruhe. In den Zweigen des Baumes ließ sich eine Spot t drossel von ihrer Aufregung anstecken und hüpfte kreischend durch das Geäst. Den gesamten Winter über würde die Quohadi-Gruppe bei ihnen bleiben. Eine wunderbare Vorstellung. Zahllose bunte Zelte, ra u schende Feste, Wettstreite und Spiele. Ihre Vorfreude vermischte sich mit freud i ger Angst, denn Naduah spürte, dass sich in diesem Winter ihr Schicksal erfüllen würde.
Ein Mädchen lief dicht an ihr vorbei. Ihr höhnisches Schnaufen wec k te Naduahs Zorn. Wenn diese Schnepfen sie so sehr beneideten, warum trainierten sie nicht selbst? Es lag in ihrer eigenen Hand, sich die Tei l nahme an der Jagd zu verdienen. Naduah schickte dem Mädchen eine Grimasse hinterher, steckte den fertig geschärften Pfeil in ihren Köcher und nahm sich den nächsten vor. An den Schäften befanden sich Abfo l gen von roten und schwarzen Markierungen, um anzuzeigen, wem das Geschoss gehörte. Ihre sahen besonders schön aus, befand sie. Warmer Herbstwind fuhr durch ihre offen herabfallenden Haare und erzählte von den Wonnen des vergangenen Sommers. Ab und zu blickte sie auf, um das glühende Laub der Pappeln zu bewundern, das Blau des Hi m mels oder das stille Wasser des Flusses. Hörte sie nicht schon fernes Lachen? Das Getrappel zahlloser Pferdehufe, das Bellen von Hunden und die Rufe von Kindern?
Naduah schärfte gerade ihren elften Pfeil, als die Ouohadis im Uferwald auftauchten. Ihr Herzschlag setzte aus. Bebend vor Erregung stemmte sie sich hoch, beschattete ihre Augen und blickte den Hera n kommenden entgegen. Was für ein herrlicher Anblick. Mehr als hu n dert Nunumu kamen in ihr Dorf, um den Winter hier am Fluss zu verbri n gen. Eine bunte, lärmende Menge aus bemalten Pferdeleibern, fröhlichen Menschen und kläffenden Hunden. Federn, Schweife und Skalps wehten im Wind, begleitet vom Klingeln unzähliger Messingkegel. Kinder bal g ten sich im Wasser oder stürmten voraus, begierig darauf, neue Freun d schaften zu schließen oder alte zu erneuern.
Während die Frauen des Dorfes den Ankömmlingen entgegeneilten, um sie zu begrüßen, verharrte Naduah im Schatten ihres Baumes. Wo war Nocona? Sie entdeckte ihn nicht, doch in der wimmelnden Masse war ein einzelner Mann kaum auszumachen. Den Kriegern der Vorhut folgten Frauen, Kinder und Greise. Mustangs liefen frei umher, Hunde huschten um ihre Beine herum und versuchten, danach zu schnappen. Eine schier endlose Schlange wälzte sich durch den Fluss, bis der Zug von den Lanzenträgern abgeschlossen wurde. Noch immer hatte Naduah ihn nicht entdeckt. Konnte es sein, dass Nocona zuletzt ritt, als einer der auserlesenen Krieger, deren Aufgabe darin bestand, als Nac h hut den Stamm vor Angriffen aus dem Hinterhalt zu schützen? Der Ruf dieser Männer war legendär. Wenn Jungen träumten, dann davon, im Kreise der Lanzenträger zu reiten. Sie waren die letzten, die im Falle eines Angriffs das Dorf verließen. Selbst wenn ihre Lage au s sichtslos war, blieben sie zum Schutz des Stammes zurück und hielten stand, bis der Letzte von ihnen gefallen war.
Naduah blickte zu den stolzen Kriegern auf. Ihre Erregung nahm zu, war kaum mehr zu ertragen.
Und dann sah sie ihn. Nocona. Ihren Wanderer.
Ja, er war ein Lanzenträger. Bewunderung ging Hand in Hand mit Entsetzen. Einer der Auserwählten zu sein, bedeutete große Ehre. Eine Ehre, vor der selbst der Häuptling sich verneigte. Doch im Kriegsfall konnte es die Opferung des eigenen Lebens nach sich ziehen. Während alle anderen sich in Sicherheit brachten, blieben die Lanzenträger am Ort der Schlacht zurück, um ihr Volk bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen. Selbst, wenn ihr Tod damit besiegelt war.
Naduah war sprachlos. Der Wanderer erschien ihr noch schöner als in ihrer Erinnerung. Wie er dort auf seinem Pferd saß, mit aufrechter, schlanker Gestalt und unbewegtem Gesicht, war er ein Sinnbild des Stolzes. Seine Stärke
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