Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Quohadis erhob sich von seinem Platz am Feuer. Sein Adlerfederputz streifte den Boden, sein Jagdhemd, das ihm bis zu den Knien reichte, schillerte in zahllosen Farben und quoll über vor Stachelschweinborsten, bunten Holzperlen und Muscheln.
„Sieht er nicht aus wie ein balzender Truthahn?“ flüsterte Naduah Nocona zu. „Pass auf, gleich kommt er den Flammen zu nahe. So wie im letzten Jahr unser Häuptling. Sein Federschmuck brannte lichterloh.“
„Respektloses Ding.“ Er warf ihr ein Zwinkern zu. „Würdest du dich auch über mich lustig machen, wenn ich dir den Rücken zudrehe?“
„Niemals. Aber sieh ihn dir doch an. Ich habe recht .“
Nocona schnaufte, stellte seine Suppenschale ab und sah sie an. Etwas Seltsames lag in seinem Blick. Eine wilde Entschlossenheit, die ihn übermannte und zu etwas hinreißen würde, das er sonst niemals getan hätte. Sie hielt den Atem an, als er sich mit träger Sinnlic h keit die Lippen leckte. Zögernd nahm Naduah eine Strähne seines Haares auf, nicht willens, sich noch länger nur nach seiner Nähe zu sehnen. Langsam glitt sie zw i schen ihre n Finger n hindurch. Nocona seufzte, legte seine Hand auf ihre Wange und neigte den Kopf. Nichts hätte erregender sein kö n nen als dieser Laut, in dem Begehren und Hilflosigkeit lagen. Er beugte sich vor, schloss die Augen und öffnete seine Lippen. Gleichgültig den ne u gierigen Blicken Mahtos und Hukas gegenüber, oder denen vieler and e rer Augenpaare, die auf ihn gerichtet waren. Von fern erklangen die Trommeln. Zuerst träge, sinnlich und schleppend. Dann schneller, i m mer schneller. Endend in losgelöster Leidenschaft.
„Bald, mein Blauauge“, flüsterte Nocona an ihren Lippen. „Ich schw ö re es dir. Lass mir noch etwas Zeit.“
Ihr wurde schwindlig, als er vor ihr zurückwich. Sie spürte seine sta r ken Arme, die sich um sie schlossen. Spürte seine Brust an ihrem R ü cken, neigte den Kopf und schmiegte ihre Wange an sein Haar. Nein, sie konnte keine Enttäuschung empfinden. Männer, Frauen und Kinder tanzten, schlemmten und lachten. Golden stand der Sichelmond über der Prärie, Flammenschein schimmerte auf Zelten, Menschen und sich wellendem Gras. Nocona hatte ihr ein Versprechen gegeben, und er würde es halten.
Ihre Welt war vollkommen.
Makah, 2011
„W
o sind wir hier?“
„Was sind das für Berge dort hinten?“
„Was können Sie uns darüber erzählen?“
Makah blockte die auf ihn einprasselnden Fragen mit erhobener Hand ab. Ehe er antwortete, drehte er sich um und blickte bedeutungsschwa n ger in die Runde. „Nicht jetzt, wenn ich bitten darf. Wir bewegen uns auf dem traditionellen Pfad des Schweigens. Hört der Stille zu. Sie gibt euch alle Antworten, die ihr braucht.“
Das Plappern senkte sich zu verschwörerischem Flüstern, aufgeregte Blicke wurden ausgetauscht. Ja, genau so etwas wollten sie hören. Gewi s sermaßen hatte er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ihm war die Ruhe vergönnt, die er im Moment brauchte, und die ihm anvertraute Schar schwebte auf einer Wolke aus mystischer Inspiration.
Makah rekelte sich im Sattel, ohne eine Position zu finden, die nicht wehtat . Immerhin, Visionswunden heilten schnell, wurden sie erst einmal dazu überredet, nicht den ganzen Körper zu vergiften. Die ve r gangenen sechs Tage hatten ihm wieder mal vor Augen geführt, weshalb er Ärzte und Kliniken im Generellen hasste, und so dankte er dem Schicksal u m so leidenschaftlicher dafür, dass es ihn hierher geführt hatte . I rgen d wo ins Nirgendwo, wo er den ganzen Tag lang das tun konnte, was er gern tat. Ziellos durch die Gegend reiten. Nun ja, mehr oder weniger ziellos. Gewisse Aussichtspunkte musste er abhaken, um die ihm anve r trauten Touristen glücklich zu machen.
Der düstere Schatten der Erinnerungen war von ihm abgefallen, z u mindest vorerst. Er fühlte sich trotz seines ramponierten Körpers ausg e ruht, steckte voller Hoffnung und fieberte Saras Besuch entgegen. Was auch immer seine neue Aufgabe war, die das Schicksal ihm gestellt hatte, er würde damit klarkommen. Und Sara helfen, die Visionen ihre r seits zu verarbeiten. Vielleicht, und dieser Gedanke war enorm verlockend, wü r den sie gemeinsam die Antworten finden, nach denen sie suchten. In der Gegenwart ebenso vereint wie in der Vergangenheit.
Allein der Gedanke verpasste ihm eine Gänsehaut.
Zufrieden beobachtete er den Schatten der fernen Berge. Noch nie war er dieser Richtung gefolgt. Wie sehr sich
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