Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
drückte den Knopf. Auf der Leinwand erschien Makah. Lässig an den Zaun gelehnt blickte er in eine majestätische Lan d schaft aus gewelltem Weiß hinaus. Wind fing sich in seinem Haar. Schneeflocken glitzerten auf seiner durchgescheuerten Lederjacke. Saras Herz verkrampfte sich. Ihre Lippen brannten, als hätte er sie gerade erst geküsst. Fast glaubte sie, wieder seine Hände zu spüren. Auf ihren Schu l tern und an ihrer Taille. Er hatte nach Leder gerochen. Nach Pferd, Wi n ter und moschuswarmer Männlichkeit.
„Na bitte!“ Ruth stieß einen Quietscher im Ultraschallbereich aus. „Genau das meine ich. Genau das, Liebes. Mach weiter, ich will mehr von ihm sehen. Wo hast du dieses Prachtexemplar aufgetrieben?“
Sara zuckte statt einer Antwort die Schultern und drückte weiter. Mit jedem Bild wuchs ihr Elend. Makah im Schnee, die Hände in die Hose n taschen gegraben, den Blick in den Himmel gerichtet. Makah auf dem Zaun sitzend , ein undurchschaubares Lächeln auf den Lippen. Sein G e sicht in Nahaufnahme. Elfenbeinlicht auf seinem Haar, in dem Eiskri s talle wie winzige Netze funkelten. Tausend Geheimnisse in seinen A u gen. Es war das Gesicht eines Kriegers aus alten Zeiten.
Während Sara weiterklickte, stieß Ruth Laute der Verzückung aus. Als sie beim letzten Foto angekommen war – Makah, der im Schnee hockte und seine auf die Schenkel abgestützten Arme locker hängen ließ – , fuhr ihre Chefin mit einem wölfischen Knurren zu ihr herum. Na wunderbar. Ruth hatte ihrer Miene nach zu urteilen einen Entschluss gefasst, und nicht einmal Chuck Norris würde sie davon abbringen können.
„Ich will seine Geschichte hören.“ Zupackende Finger quetschten S a ras Schultern. „Ich will alles von ihm wissen. Flieg zurück und komm erst wieder her, wenn du ein e Wagenladung voller Fotos und seine ko m plette Lebensgeschichte im Gepäck hast.“
„Was?“ Sara schnappte nach Luft. Um ein Haar hätte sie ihren Caffé Mocha fallen gelassen. „Ich soll den armen Mann stalken?“
„Du hast mich gehört. Er ist das, was ich suche. Ich will ihn, Sara. Also beweg deinen Hintern zurück und bring mir seine Geschichte, seine Gedanken, seine Ängste und Hoffnungen und mehr Fotos. Vielleicht kriegst du ihn dazu, ein bisschen authentischer auszusehen.“
„Authentischer?“
„Du weißt schon.“ Ruth wedelte affektiert mit ihrer ringfunkelnden Hand. „Lass ihn sich in einen edlen Wilden verwandeln. Am besten mit deutlich weniger Kleidung am Körper als auf diesen Fotos. Sex sells, you know?“
Sara öffnete den Mund und klappte ihn wortlos wieder zu. Zwei G e fühle rangen in ihr um die Vorherrschaft. Einerseits sehnte sie sich nach der Rückkehr in das Land, das sie in so kurzer Zeit zu lieben gelernt hatte. Andererseits brachte sie Ruths Befehl, Makah zu einer schlichten Story zu degradieren, zur Weißglut. Aber halt … es lag ganz an ihr, was sie daraus machte. Ja, sie würde zurückkehren und sich auf die Suche nach ihm machen. Und nein, falls sie ihn fand, würde sie Ruth erst mal nichts davon erzählen.
„Also gut. Von mir aus. Wann soll ’ s losgehen?“ Sara betrachtete ihre eigenen, unlackierten und unmanikürten Fingernägel, als wäre eine Wei s heit darauf eingraviert.
„Übermorgen. Morgen steht die Projektbesprechung für das Herbs t programm an, da brauche ich dich. Besorg dir Tickets für den ersten Flug. Und noch was …“ , Ruths Stimme senkte sich zu einem verschw ö rerischen Flüsterton, „da hast du einen prächtigen Fang gemacht. In ihm vereint sich genau das, was ich mir vorgestellt habe. Stolz und Wehmut, Vergangenheit und Gegenwart. Er ist das, was die Leser wollen. Er ist ihre Zuflucht in eine von der Wirklichkeit unberührte Welt. Genau so was brauchen wir. Also, ab nach Hause zum Kofferpacken und ausr u hen.“
Das tat sie nur zu gern. Wie auf Wolken verließ Sara das Büro. Sie wollte Träumen nachjagen. Aussteigen, auf alles pfeifen und nur noch tun, was sie wollte. Ruth hatte ihr die Zügel freigegeben, was das Zeitl i che betraf. Das hieß, sie konnte ein paar Wochen nach Makah suchen. Oder gar Monate. Alles hing nur davon ab, wie gut es ihr gelang, ihre Chefin hinzuhalten.
Unelegant plumpste Sara auf ihr Sofa, kuschelte sich in ihren cremefa r benen Flauschbademantel und lauschte dem Gurgeln der Kaffeemasch i ne. Ein ungemein beruhigendes Geräusch, vor allem in Verbindung mit dem Duft bester Arabica-Bohnen. Auf dem Holztisch neben ihr stand eine Schale mit
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