Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
Frage ein. „Ich sagte, lasst ihn los!“
Die Krieger bleckten widerwillig ihre Zähne, gehorchten jedoch. Nocona fasste den Weißen an beiden Schultern und blickte ihm fest in die Augen, um Lüge von Wahrheit unterscheiden zu können.
„Warum zieht ihr von Westen nach Osten? Was liegt in eurer A b sicht?“
„Wir waren nicht willkommen.“ Der Mann wurde aschfahl. Offenbar hatte er mit seinem Leben längst abgeschlossen. Aber er fürchtete sich nicht vor dem Tod , was ihm Nocona hoch anrechnete. All seine Ängste galten ledi g lich dem Leben seiner Tochter und seiner Frau.
„Und weiter?“
Der Mann schnappte röchelnd nach Luft. „Die Kalifornier wollten uns töten. Wollten uns hängen, damit wir niemandem den Weg über die Berge zeigen. Ich vermisse meine Heimat. Meine Söhne starben am Fieber, meine Tochter wurde krank. Wir wollen nur nach Hause. Nichts weiter. Nur nach Hause und in Frieden leben.“
Nocona senkte seinen Blick und ließ den Mann los. Kaum wandte er sich wieder dem Planwagen zu, lehnte sich das Mädchen aus dem W a gen , als hätte es alle Angst vergessen, und umklammerte ihn mit ihren dürren A r men.
Vorsichtig hob er es hoch und drückte es an sich.
„Ich begleite euch bis zum östlichen Rand des Cheyenne-Landes“, sa g te er vernehmlich in die Runde. „Solange ich bei euch bin, wird man wissen, dass ihr kein Feind meines Volkes seid. Cheyen ne, Kiowa und Caddo sind Freunde der Nunumu. Haben wir den Rand ihrer Jagdgrü n de erreicht, müsst ihr allein weiterziehen.“
Tränen rannen über die blutverschmierten Wangen des Mannes. Sein Blick huschte ungläubig hin und her. Glitt über verärgerte, ausdrucksl o se, hasserfüllte und mitfühlende Gesichter.
„Danke!“, wisperte er. „Tausend Dank. Für den Rest meines Lebens stehen wir in deiner Schuld.“
„Glaub ihm kein Wort!“ Icabu spuckte aus. „Er wird uns verraten! Vertrau ihm nicht.“
„Sag Naduah, dass ich bald wieder bei ihr sein werde“, flüsterte er Makamnaya zu. „Sag ihr, dass ich jetzt weiß, was ich tun muss, um es en d lich zu beenden.“
„Das werde ich“, erwiderte sein Freund. „Pass auf dich auf, hörst du? Ich will dich gesund und in einem Stück wiedersehen.“
Icabu schäumte vor Wut. „Ich werde deiner Krötenechse sagen, was für ein elender Verräter du bist. Ich werde ihr sagen, dass du dich mit unseren Feinden verbündest, und dass du es Kriegern verwehrst, ihre wohlverdiente Rache zu bekommen. Oh ja, das werde ich ihr sagen. Geh und sei die längste Zeit mein Freund gewesen. Geh und verrate uns wie die Tonkawa und die Osage, die den Haarlippen folgen wie räudige Hunde, um ihr eigenes Volk zu verraten.“
„Jeder soll tun, was er für richtig hält“, knurrte Makamnaya. „Hast du nicht hingehört? Dieses G elbe Haar hat dieselben Hoffnungen wi e wir. Dieselben Ängste wie wir. Geh du mir aus den Augen, denn du bist nicht besser als die Monster, die du hasst.“
Sara, 2011
S
eit er wie ein gefällter Baum vom Stuhl gekippt war, regte Makah sich nicht mehr. Es war ihr nicht gelungen, ihn auf das Sofa zu hieven, dafür war er zu schwer, aber sie hatte ihn d a gegen gelehnt und ihm den Rücken mit ein paar Kissen au s gepolstert, ihn mit einem Plaid zugedeckt und sich wie ein Wachhund danebeng e setzt. Sie wusste, was mit ihm passierte, und doch war ihr nicht wohl dabei. Zwischendurch war sie eingeschlafen, ohne von damals zu trä u men, aber es waren nur kurze Nickerchen gewesen, aus denen sie das Gefühl, etwas würde nicht stimmen, nach wenigen Auge n blicken wieder herausriss. Zweimal knackten draußen die Dielen der Veranda, als liefe jemand um das Haus, doch als Sara nachsah, war ni e mand zu sehen. Zum Teufel, sie wurde langsam paranoid. Hier draußen gab es Unme n gen an Tieren, die sich nicht scheuten, in der Nähe menschlicher Sie d lungen herumz u schnuppern. Vermutlich stattete ihnen ein Kojote einen Besuch ab. Oder Präriehunde durchstöberten die Mül l tonnen.
Inzwischen war es Abend geworden .
Seine Augen unter den Lidern zuckten. Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn, die Hände waren zu Fäusten geballt. Vielleicht führte er gerade eine wilde Schlacht, kämpfte um Frieden und Freiheit, ohne zu ahnen, dass alles vergebens war und der Lauf der Dinge sich durch nichts aufhalten ließ.
Sara legte eine Hand auf seine Stirn und zuckte zurück. Er hatte Fi e ber, und zwar hohes. Sie tastete nach dem Puls und fühlte, wie er raste. Sein Herz vollführte
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