Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
nahm einen Schluck Tee und sah sich um. „Wirklich nicht schlecht. Das ist der beste Platz, den du je erga t tert hast.“
Auf dem Sofa brummte Makah etwas in einen nicht vorhandenen Bart und wälzte sich auf den Bauch. Es schien ihm besser zu gehen, zumi n dest hoffte sie das. Ihre medizinischen Kenntnisse bewegten sich in einem Bereich, der gerade eben dafür ausreichte, sich Kopfschmerzta b letten zu verabreichen. Aber seine Haut gewann wieder an Farbe und sein Schlaf war ruhiger geworden. Beides Zeichen, die ihr gefielen. Sie fragte sich, wo er in diesen Augenblick war. Mitten in der Schlacht? B e reits auf dem Rückweg zu ihr? Was für eine unglaubliche Vorstellung es war, dass Makahs Geist in diesen Momenten in ferner Vergangenheit weilte. Zeit war für ihr Empfinden nichts G e radliniges mehr, sondern ein Gebilde aus vielen Ebenen. Und sie hatten es, weiß der liebe Gott wie, geschafft, von einer zur anderen zu wechseln.
De r Gedanke, irgendwann nach New York zurückkehren zu müssen, streifte sie nur flüchtig, denn er erschien ihr fremd und falsch. Ihr altes Leben als Großstadtfrau fühlte sich inzwischen an, als hätte es ein and e rer Mensch für sie gelebt. Ruth s und Anthonys Auftritt war der letzte Beweis für etwas gewesen, dass sie im Grunde schon vorher g e wusst hatte: Sie wollte ein neues Dasein beginnen. Hier. Zusammen mit Makah. Nichts war mehr wie früher. Sie war nicht mehr die Sara, die in einem noblen Büro in einem New Yorker Hochhaus residierte.
Ruth mochte oberflächlich sein, aber sie hatte es geahnt. Und sie war gekommen, um einen Schlussstrich unter die übliche Routine zu ziehen. Dank der weisen Voraussicht ihrer Chefin befand sich der Vertrag für die freie Mitarbeit bereits unterzeichnet und abgesegnet auf dem Weg nach New York, und so stand ihrem neuen Leben mitten im Nirgendwo kein Hindernis im Weg. Sie würde ihre Nachbarin beauftragen, ihre Wohnung und ihr Konto aufzulösen und ihr alle Erträge zuko m men zu lassen.
Vollmacht formulieren , kritzelte Sara auf ihren Block. Anwalt anrufen. Ruth die Eulensammlung vererben. Anthony den rosa Cashmere-Pullover.
„Bist du des Wahnsinns?“ , hörte sie im Geiste ihre Mutter mahnen. „Du kennst diesen Mann doch gar nicht. Und was sagst du da? Ihr wohnt in einer Bretterhütte mitten in einem Indianerreservat? Aber da leben doch nur Säufer und drogensüchtige Arbeitslose. Hast du völlig den Verstand verloren?“
„Mum“, würde sie entgegnen. „Ich kenne Makah besser, als du es dir je ausmalen kannst. Vor zweihundert Jahren waren wir verheiratet und hatten drei Kinder.“
Das schlechte Gewissen nagte an ihren Eingeweiden, als sie an ihre a n fängliche Ruppigkeit gegenüber Ruth zurückdachte. Ihre Chefin hatte es gut gemeint, auch wenn ihr unangekündigter Besuch nicht höflich gew e sen war . U nd sie hatte mit einen Schlag eine Handvoll Sorgen beseitigt.
Schluss. Aus. Sie musste arbeiten. Wenigstens ein oder zwei Stunden lang. Gewissenhaft bearbeitete sie die fünf Wüstenfotos, die Ruth ihr geschickt hatte, und wie immer, wenn sie sich mit den Grafikbearbe i tungsprogrammen austobte, verging die Zeit wie im Flug. Draußen wich das Dämmerlicht der Nacht., Den Wind zu h ö ren, das Holz zu riechen, Makah auf dem Sofa schlafen zu sehen … all das fühlte sich wunderbar und richtig an.
Willkommen zu Hause , malte sie auf ihren Block und fügte eine kleine, gepunktete Eidechse hinzu.
Als sie die fertigen Fotos zurück nach New York schickte und ihre Mail mit Grüße aus den Great Plains, Sara unterschrieb, schwebte sie auf einer Wolke aus Glück. Sie schaltete den Laptop aus, ging zu Makah und setzte sich zu ihm auf das Sofa. Sein Fieber war ve r schwunden, sein Schlaf tief und ruhig. Es währte nicht lange, bis wohlige Wärme durch ihre Glieder floss. So gern sie ihn stundenlang angesehen hätte, wurden ihre Augen doch schwerer und schwerer, bis es unmöglich war, sie offen zu halten. Ein paar Mal zuckte sie aus einem Sekunde n schlaf hoch, dann spürte sie am Rand ihres Bewusstseins, wie ihr Körper endgültig über ihm zusamme n sackte.
„Sara?“
Seine Stimme holte sie aus kurzer Dunkelheit zurück. Makah war wach. Endlich! Und es schien ihm gut zu gehen.
„Habe die Pferde gefüttert“, nuschelte sie schlaftrunken. „Wasser, Heu und so weiter. Der Hund hat auch Futter.“
„Wunderbar. Danke.“
„Hat mir fast die Hand abgebissen, das fiese Stück.“
„Ich mache einen Bettvorleger aus ihm.“ Makah
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