Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit
fertig.“
„Ich würde es trotzdem gern sehen.“
Sie nahm seine Hand , küsste jeden einzelnen Finger und hielt den G e ruch seiner Haut in ihrem Inneren fest. Entschlossen, jeden Augenblick b e wusst wahrzunehmen, mit allen Sinnen und tiefer Dankbarkeit. Erst dann füh r te sie Nocona zu ihrem Arbeitsplatz. Kehala blickte von ihrem Medizi n beutel auf. Sie lächelte und stickte weiter, schwitzend vor Hitze und Konzentr a tion.
„Es ist für unsere Kinder. Und für die Kinder unserer Kinder. Damit sie uns nie vergessen.“ Das Fell des Bullen, der sie damals bei ihrer ersten großen Jagd fast getötet hatte, hing nun straff gespannt auf einem G e stell. Als Nocona sah, wozu sie es benutzt hatte, erbleichte sein Gesicht vor Überraschung.
Er war überwältigt. Ganz so, wie sie es sich erhofft hatte.
Seine Hände zitterten, als er mit den Spitzen seiner Finger über das Leder strich. Er atmete ein paar Mal ein und aus, bevor er es schaffte, Worte hervorzubringen: „Es ist wundervoll, mein Blauauge. Du b e wahrst alles, was wir erlebt haben. Quanah wird seinen Kindern davon erzählen können, im Winter, wenn alle am Feuer sitzen. Irgen d wann erzählt er es seinen Enkeln, und die werden es ihren Kindern erzählen.“
Naduah schmiegte sich an ihn und betrachtete die Bilder. Manche w a ren noch feucht und glänzten wie Pech in der Sonne. Alles, was sie bi s her erlebt hatten, befand sich auf diesem einen Fell. Verwoben in Bildern und Symbolen. Ein Stück Fell war noch frei, bereit, mit neuen Erinn e rungen gefüllt zu werden. Sie hatte behutsam gezeichnet. Kleine, aber detailreiche Figuren. Manche waren nicht größer als der Nagel ihres kleinen Fingers. Wer nicht genau hinsah, konnte die Pferde, die zwischen den Schneeflocken dahinflogen, für Moskitos halten.
Hundert Pferde in einer Winternacht.
„Komm her, mein Blauauge.“ Nocona schloss sie in seine Arme. Naduah legte ihre Wange an seine Brust und lauschte seinem Her z schlag. Sie waren hier, zusammen, glücklich und vereint. Der Sommer war noch jung, so jung wie sie selbst.
„Wir sind unsterblich“, flüsterte Nocona. „So unsterblich wie die Gö t ter.“
„Wegen de s Fell s ?“
Er strich über ihr Haar. Der Herzschlag unter ihrem Ohr wurde schneller. „Nein. Nicht wegen dem Fell. Hör zu, Naduah, ich muss dir etwas s a gen.“
Sie horchte auf. Seine Worte endeten in unheilschwangerem Schwe i gen, das nicht zu dem Zauber dieses Sommertages passen wollte. Als Naduah zu ihm aufblickte, war da nicht mehr nur der fürsorgliche Vater und sanfte Geliebte. Sie kannte diese kalte, entschlossene Leide n schaft. Sie kannte das Wesen, das hinter seiner Maske lauerte, und wusste, w o rauf es sich vorbereitete.
„Ihr werdet in den Krieg ziehen.“
Keine Frage. Nur ausgesprochene Erkenntnis.
„Ja“, antwortete er. „Schon bald.“
Sie schloss die Augen. Atmete ein, atmete aus. „Wie lange?“
Er seufzte. Dann noch einmal, und noch einmal. Es fiel ihm immer schwer, ihr Botschaften wie diese zu überbringen, doch die, die jetzt auf seiner Zunge lag, schien ihn mit ihrer Last zu ersticken.
„Es wird der größte Kriegszug, den es je gegeben hat“, sagte er leise. „Viele Stämme schließen sich zusammen. Wir ziehen hinunter nach Mexiko, bis zum großen Wasser.“
Naduah fuhr zurück, als hätte er sie geschlagen . Nein! Nein, sie musste sich verhört haben.
„Der Golf von Mexiko? Meinst du dieses große Wasser? Ihr zieht bis zum Golf?“
Er nickte. Großer Geist! Nocona sprach nicht von Wochen, die er fort sein würde. Nicht von ein paar Monden. Er sprach von Jahren. Ein g e waltiger Kriegszug bis zum Golf von Mexiko … allein der Geda n ke … nein! Sie schüttelte den Kopf und hob ihre Arme in einer verzwe i felten Geste der Ungläubigkeit. Sie würde ihn jahrelang nicht sehen, vielleicht auch niemals wieder. So viel kostbare Zeit. So viel Blut und Tod. Ein Raubzug würde sich an den anderen reihen, eine Schlacht der nächsten folgen. S o viele würden nicht zurückkehren. Sie hörte bereits jetzt das Klagegeschrei der Witwen, deren Männer ihr Grab in den u n endlichen Weiten der Ebenen und Wüsten finden wü r den, fern ihrer Heimat.
„Es muss sein. “ Er umfing Naduahs Handgelenke und hielt sie fest. „Ich habe geschworen, alles zu geben, um unsere Freiheit zu schützen.“
„Auch dein Leben“, schleuderte sie ihm entgegen. „Ja, du bist ein La n zenträger. Du wirst ausharren, selbst, wenn alle anderen fliehen und sich in
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