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Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit

Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit

Titel: Nocona: Eine Liebe stärker als Raum und Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauss
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lief. Anfangs hatte sie all ihre Konzentration darauf verwenden müssen, trockenen Zweigen auszuweichen und die richtigen Stellen zum Auftr e ten zu finden, doch nach mehreren Monden des Lernens war ihr die lautlose Fortbewegung in Fleisch und Blut übergegangen. Ein wenig vermisste sie das Klingeln der Messingkegel, die sonst Mahtos Beinlinge schmückten. Im Dorf war es überall zu hören, jeder Mann trug diese Schmuckstücke an seinen Kleidern. Es war eines dieser Geräusche, die so natürlich waren, dass man sie nicht bewusst wahrnahm. Erst, wenn sie fehlten, begriff man, wie allgegenwärtig und vertraut sie gewesen waren.
    „Du hast mir noch nicht geantwortet, Tochter.“
    „Ich will nicht antworten.“
    „Sag mir, was dich bedrückt.“
    Sie betrachtete die Zedern. Bärte aus Flechten schwangen wie Spin n weben in einem kaum zu spürenden Windhauch. Die Stämme der düst e ren Douglasien waren so gigantisch, dass sie wie Teile eines Gebirges wirkten. Wenn man über Moosteppiche lief, umgeben von diesem ura l ten, dämmerigen Wald, fühlte man sich wie in einem Traum. Hier in den südlichen Wäldern gab es zahllose Maultierhirsche, Bären, Pumas und Rehe. Es gab Unmengen von Vögeln, Otter, Kaninchen und Insekten. In den Flüssen schwammen gewaltige Fische und gepanzerte Echsen, deren Mäuler vor Zähnen nur so starrten.
    Die Weißen kamen niemals hierher. Sie fürchteten die Sümpfe, die Krankheiten und die Tiere.
    „Sag es mir endlich, Tochter.“ Mahtos Stimme wurde streng. „Was hat dich so verschreckt ? “
    Naduah blickte zu Boden. Sie wollte stark sein, unerschütterlich und tapfer. Aber das, was sie kurz vor ihrem Aufbruch zur Reise gesehen hatte, quälte sie bis in den Schlaf hinein. „Wiyukcan Mani. Die Frau, ihren Mann bei der Großen Jagd verloren hat. Jede Nacht träume ich davon.“
    „Dann reinige deinen Geist von diesen Bildern. Trage es nicht mit dir herum wie eine Last, die deinen Körper in die Knie zwingt.“
    „Das versuche ich.“
    Erinnerungen flackerten in ihrem Geist auf. Sie sah den Krieger n a mens Hehaka, zerstampft von Bisonhufen. Sie sah seine Frau Wiyukcan Mani, die weinend sein zerfetztes Fleisch küsste. Sie sah, wie die Witwe ein Abziehmesser zückte, ihren Poncho zerriss und sich die Klinge über ihre Brüste zog. Fleisch klaffte auf, Blut floss in Strömen auf den staub i gen Boden. Stöhnen ging in ein blubberndes Gurgeln über, als Wiyukcan Mani das Messer erneut gegen sich richtete und diesmal ihre Kehle au f schlitzte.
    Jemand führte Hehakas Pferd herbei und erschlug es mit einer Keule. Das Ehepaar wurde gewaschen und in kostbare Kleider gehüllt. Man bemalte ihre Gesichter mit roter Farbe, versiegelte ihre Augen mit Lehm und gab alles, woran ihr Herz gehangen hatte, mit ins Grab. Die nahen, weiblichen Angehörigen der Toten zerschnitten sich die Arme und trennten ihre Zöpfe ab, während die Blutlache von Wiyukcan Manis aufgeschnittener Kehle Naduah noch viele Tage später eisige Schau d er über den Rücken jagte.
    „Wie kann man sich nur selbst den Hals durchtrennen, Vater? Ich h a be gesehen, wie viel Schmerzen es ihr bereitet hat. Ich habe gesehen, wie oft sie hin und her schneiden musste, bevor es tief genug war.“
    „Sie hat ihren Mann über alles geliebt“, antwortete Mahto. „Ihre Tra u er war zu groß, um weiterleben zu können. So würde es auch Huka e r gehen, wenn ich sterbe. Und mir, wenn sie stirbt.“
    „Wirst du dir auch die Kehle durchschneiden?“
    „Nein. Ich würde an einen Ort gehen, der mir gefällt, und dort sterben. Oder ich suche meinen Tod in der Jagd oder im Kampf.“
    „Ich will nichts mehr davon wissen.“
    „Aber der Tod gehört dazu. Ihn zu ignorieren wäre, als würdest du Herbst und Winter den Einzug verbieten. Alles würde vertrocknen im ewigen Sommer. Nichts könnte sich schlafen legen und wiederauferst e hen.“
    „Ich will nichts mehr vom Tod hören“, beharrte sie, griff nach ihrem Zopf, der inzwischen bis zur Hüfte hinabfiel, und zupfte an den Elste r federn, die sie sich darin eingeflochten hatte. Ihr Körper war stark, doch in der Seele fühlte sie sich hilflos und krank.
    „Was du gesehen hast“, sagte Mahto, „hat dein inneres Gleichgewicht zerstört. Wir sollten nach unserer Rückkehr in die Schwitzhütte gehen.“
    Naduah lächelte. Ja, diese Aussicht war tröstend. Die warme Dunke l heit der Schwitzhütte vermittelte das Gefühl, tief im Schoß von Mutter Erde zu ruhen. Das monotone Dröhnen der Trommeln

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