Nocturne City 01 - Schattenwoelfe
Bezirksstaatsanwalt?“
Wir saßen an der Lieferrampe des Crown, und in meinem Kopf tobte ein Mahlstrom. Die Gedanken rasten so schnell durch mein Hirn, dass ich sie weder fassen noch begreifen konnte. Die Folge war, dass ich seit dem Öffnen der Datei mit Duncans Bild geschwiegen hatte.
Ich nickte, um Sunnys Frage zu beantworten.
„Also hat er diese Frauen ermordet?“
„Wie konnte ich nur so dämlich sein?“, platzte es aus mir heraus. Wie war das möglich gewesen? Ein smarter Cop hätte Duncans Machenschaften schon längst durchschaut. Ich aber war blind gewesen, meiner Sinne beraubt. Alistair Duncan war durch mein Raster geschlüpft, und zwar so leicht und geschmeidig, wie seine Klinge durch das Fleisch der drei Frauen gefahren war.
„Du machst mir Angst“, sagte Sunny. „Dein Gesicht …“
„Alles okay“, flüsterte ich. „Alles okay.“
„Was tun wir jetzt?“
Ich wusste, dass ich Sunny die Wahrheit sagen musste. Sie war meine Cousine und stand mitten in der Schusslinie – sie hatte ein Recht auf die ganze Wahrheit. Trotz dieser Einsicht fiel es mir unglaublich schwer, meinen Mund zu öffnen und zu reden. „Wenn AI Duncan diese Frauen ermordet hat, sind wir nicht mehr sicher. Noch nicht mal hier. Spätestens jetzt wird Lockhart wissen, dass ich nicht verhaftet worden bin, und das bedeutet, Duncan weiß es auch.“
Sunny schwieg und starrte mit einem unsagbar grimmigen Ausdruck in die schwarze Gasse, die vor dem Ladedock lag. „Du versuchst mir also gerade zu sagen, dass wir eigentlich schon so gut wie tot sind, oder?“
„Es tut mir leid, Sunny …“
Mit erhobener Hand gebot sie mir Einhalt. „Lass es, Luna. Es tut dir nicht leid. Wir wissen doch beide, dass es quasi in deiner Natur liegt, deiner Beute so lange nachzujagen, bis du sie erwischst oder selbst tot umfällst.“
Ich zog verärgert meine Knie an die Brust. „Das war jetzt ein richtig blöder Kommentar, Sunny.“
Sie drückte auf den Punkt zwischen ihren Augen. „Tut mir leid.“
„Mir auch.“
„Also was machen wir jetzt?“
Was für eine exzellente Frage von meiner stets praktisch denkenden Cousine. Jede Zelle meines Körpers schrie nach Action – ich hätte mich sofort ins Auto setzen und zu Duncans Wohnung fahren können, um dort seine Tür einzutreten, ihn aufzuspüren und ihn wenigstens einmal in seinem schon viel zu langen Leben diese Angst spüren zu lassen, die die Mädchen vor ihrem Tod durchmachen mussten.
Aber eigentlich musste meine Antwort auf Sunnys Frage lauten, dass ich nichts tun konnte. Ich durfte AI Duncan noch nicht mal mehr dumm anschauen, denn ich war kein Cop mehr.
Nur noch eine Insoli.
„Luna?“ Sunny verschränkte mit einer erwartungsvollen Geste die Arme.
„Woher soll ich das wissen?“ Ich hob resigniert die Hände. „Ich schlage vor, wir sitzen hier einfach weiter rum und warten, dass Duncan noch mehr Frauen tötet, damit er sein Werk, seinen Zauber oder was auch immer er tun will, zu Ende bringen kann.“
Sunny warf mir diesen Blick mit hochgezogener Augenbraue zu, der nichts weiter sagte, als dass ich sie auf unbeschreibliche Weise enttäuscht hatte. Ihr Blick tat verdammt weh, weil ich wusste, dass ich ihn verdient hatte. Ich hatte sie tatsächlich im Stich gelassen – genauso wie Dmitri, Lilia, Katya, Marina, McAllister und all die anderen, die daran geglaubt hatten, dass ich es nicht vermasseln würde. Jetzt war ich nichts weiter als eine unfähige Versagerin, die sich mit einer Bluthexe angelegt hatte und nun kräftig Prügel bezog.
„Wo ist die Box mit den Cedar-Hill-Akten?“, fragte ich, sprang auf und lief ins Crown. Sunny folgte mir.
„Was hast du vor?“, fragte sie, als ich begann, Dokumente aus den Mappen zu zerren, und dabei Levinsons Spruchbuch beiseitestieß.
„Alistair hat es auf den gleichen Dämon abgesehen wie Marcus. Es muss eine Verbindung geben.“ Beim Überfliegen der Dokumente fiel mir der obere Bereich des Anhörungsprotokolls zu Marcus’ Freilassung auf Kaution ins Auge. Marcus war nach der Anhörung in die Obhut seiner Eltern entlassen worden. Die hatten ihn mit nach Haus genommen, wo er sofort über eine weitere Frau hergefallen war. Nicht gerade ein Paradebeispiel für die Funktionstüchtigkeit unseres Rechtssystems …
Das verfleckte und unzählige Male kopierte Protokoll enthielt grundlegende Informationen wie die Namen des Angeklagten und des Richters, die Nummer im Gerichtsregister, das Datum und so weiter. Im Kästchen des
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